"Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein, doch zwei kleine Italiener möchten gern zuhause sein." So hieß es schon bei Conny Froboes in den Sechzigern. Also habe ich mir mal zwei kleine Italiener nach Hause geholt, den 2001-er Brunello di Montalcino von La Poderina und den 2001-er Vigneto Antica Chiusina, Vino Nobile di Montepulciano aus der Fattoria de Cerro.
Und dann geht sie los, die organoleptische Reise in den Süden. Zunächst einmal mit dem Montepulciano. Der auch nach zehn Jahren noch immer eine etwas verschlossene Nase aufwies, recht teerig, schwarzfruchtig, im Hintergrund allerdings auch ein klein wenig von einem schweißig-ledrigen Einschlag untermalt. Das war für mich neu, denn über die letzten drei Jahre hatte ich rund ein Dutzend Flaschen dieses Zaubertranks über den Knorpel laufen lassen und dieser schweißige Ton hatte sich dabei bisher noch nie vernehmen lassen. Die Erfahrung lehrt leider, dass diese Noten die Frucht oftmals nach und nach aushöhlen, irgendwann gar verdrängen und im Laufe der Zeit immer dominanter werden. Die Weine von Leon Barral aus Südfrankreich fallen mir da immer wieder als Extrembeispiel an.
Also anschnallen bevor das Ding in den Mund wandert und die Kupplung hinten am Zäpfchen nur ganz vorsichtig kommen lassen! So deutlich wie in der Nase war es nicht, am Gaumen dominiert ein mineralisch-teeriges Leitmotiv, unter dem die eine oder andere Schweißnote nur ganz verschämt einen leisen Akkord setzt. Dazu dann die feine Schwarzkirsche, die auch in der Nase schon ein wenig an den Rezeptoren herumgärtnerte. Weitaus vielschichtiger als in der Nase, wo der schweißige Ton mit Luft immer kräftiger wurde und dann doch schon in Richtung Brettanomyces wanderte. Außerdem viel schöne Fruchtsüße bis tief in den Abgang hinein. Gleichzeitig auch noch immer viel Tannin, wenn auch von der angenehmen, feinkörnigen Sorte, die mich immer an edles, sehr dunkles Kakaopulver erinnert.
Auf jeden Fall will ich beobachten, wie es mit dem stalligen Ton weitergeht, deswegen kommt die zweite Hälfte der Flasche erst einmal auf die Seite für den zweiten Tag und der zweite kleine Italiener kommt ins Glas, der Brunello. Holundrige Nase, sehr mineralisch, Bleistiftmine, dazu auch florale Einschläge, Linde und - wasich noch nie in einem Rotwein gefunden habe - sogar etwas Frangipani. Dann wieder Teer, ein klein wenig Kaffee und eine orange-rote Frucht, also eine Kirsche, die irgendwie schon erste Reifetöne drin hat, als hätte man ein Spitzerchen Orangensaft darübergeträufelt.
Am Gaumen recht kühle aber ungemein nachdrückliche Mineralik, viel Druck, packt das Zäpfchen und die Geschmacksknospen und setzt sich erst einmal mit breitem Hinterteil drauf. Dann kommt ein leicht alkoholischer Stich heraus, vielleicht auch, weil der Wein ein, zwei Grad zu warm geworden ist. Also in die kühle Abendluft vor die Tür und nach ein paar Minuten wieder hineingespürt. Wow, da sind jetzt deutlich stärkere Fruchttöne zum Vorschein gekommen,wieder Holunder, rote Kirsche, etwas Orange. Wunderbar gereift wirkt der Wein, den ich offenbar voll auf dem Höhepunkt erwischt habe.
Natürlich hat er auch noch Tannin, ein Pfund sogar, aber schön weich und zart, mürbe, elegant. Dabei ist er voll und recht tief, ohne vielleicht die ganz große Granate zu sein im Abgang merkt man das, wo er etwas eindimensionaler wird, wenngleich er herrlich lange präsent bleibt und sich dabei sehr schmeichelnd gibt. Feine Harmonie von Frucht, Mineralik, einer zarten Süße und viel Schmelz, aus dem nur ganz leicht ein gewisser alkoholischer Stich hinauspiekst. Kein Krawallmonster, der Wein erdrückt nicht, schmeichelt mehr, das aber unglaublich gradlinig, persistent und fest. Auch hier kommt die zweite Hälfte für den kommenden Abend auf die Seite.
Vierundzwanzig Stunden danach ging es an die Nachverkostung. Der Montepulciano, leider, leider, zeigte sich eher noch schweißiger als am Vorabend, während der Brunello sich völlig unverändert präsentiert ein Hinweis, dass er zwar schon auf dem Höhepunkt sein mag, jedoch sicherlich noch eine recht lange Zukunft vor sich hat.
92 von 100 Willipunkten für den Brunello, leider nur 87 von 100 Willipunkten für den Montepulciano, bei dem ich die Vorgängerflaschen ohne Brett noch bei 91 bis 92 gesehen hatte. Insofern gilt die nächste Froboes-Zeile "Oh Tina und Marina, wenn wir uns einmal wiedersehn, dann wird es wieder schön" leider nur für den Brunello.
Nun verlangte meine Leber nach einem Weisswein - also kam ich dem Verlangen mit einem Emrich-Schönleber 2009
nach.