Laurel Munshower? Müssen Sie nicht kennen! Die Munshowerin schreibt eher nur mittelklug für irgendsoeinen anglophonen Internetblogg zum Thema Essen und Trinken. Diese Woche berichtet sie den Lesern aus UK und USA über die deutsche Hochküche. Und kommt zu dem überraschenden Befund, da gebe es tatsächlich mehr als Bratwurst und Sauerkraut. Isnichmöglich! Pulitzerpreis!
Fehlt nur noch der Hinweis, dass Gulaschkanonen nicht unter das Kriegswaffelnkontrollgesetz fallen und Gaisburger Marsch weder eine Militärparade ist noch mit Hakenkreuzkümmel gewürzt wird. Aus ist es mit den stillen Tagen im Klischee! Auf die dümmsten Vorurteile gegen die Preussen ist kein Verlass mehr. Heinrich, mir Kraut vor Dir! Der Deutsche futtert französisch, er ist zum Radetzkymarschmellow degeneriert.
Muss der Gourmetigel jetzt eigentlich auch darob ins Koma fallen, dass es in den Gourmetschuppen im neuen York mehr als Hot Dogs und Hamburger gibt? Und die dortigen Getränkekarten wider Erwarten wässriges Bier nicht für die alleinige Corona der Schöpfung halten, sondern sogar annehmbaren Wein feil bieten? Trinkt man dort in Wahrheit nicht viel lieber die nach unserem verehrten Herrn Altbundeskanzler benannte Coca Kohl-a?
Oder wenigstens Super Bowle? Weil der Kaffee ja sowieso viel zu dünn ist. Trivial Pursuit of Happinescafé und so. Und: Gibt es in den amerikanischen Südstaaten noch Brassentrennung im Fischkühlschrank? Kochen die ihre Clam Chowder im I-Pott?
Jedenfalls nicht im Eleven Madison Park Restaurant, der vorerst letzten amerikanischen Station meiner Vierschänkentournee. Originell ist der Name zwar nicht gerade, kommt von Madison Avenue, Hausnummer 11.
So isser nun mal, der Amerikaner, dem fällt nicht viel ein. Klischeeamerika findet man hier trotzdem nicht, das merkt man direkt, wenn man sich mit Elan durch die Drehtür ins Lokal wirbelt. Statt im Saloon mit dem lauschigen Ku Klux Klang viel zu lauter Country- und Westernhagenmusik landet man hier in einem großzügigen Art Deco-Saal, bei dem der Innenarchitekt an nichts gespart hat.
Edler Marmorboden, monumentale Blumengestecke, moderne Kunst an der Wand. Und schön hoch ist die Hütte, was angenehm viel von der Lautstärke der Gespräche an den Nachbartischen schluckt. Angenehmer Jazz tut ein Übriges.
Von himmlischer Ruhe zu sprechen, wäre übertrieben, aber im Verhältnis zum Le Bernardin und zum Jean-Georges
ist es geradezu totenstill. Und, yippieayeah, Schweinebacke - bzw. joue de cochon - wie im Brooklyn Fare
wird auch hier nur ein Durchgang pro Abend serviert. Es gibt also reichlich Zeit, die insgesamt vierzehn kleineren und größeren Gänge des Menüs (225 Dollar) von Daniel Humm in aller Ruhe zu genießen und in jeder Hinsicht zu verdauen.
Freundlicher Service mit kompetenter Weinberatung, die die beste Igelin von allen und mich zunächst zu einem Gläschen Bereche-Champagner anstiftet. Gute Wahl, cremig und lang, gerade richtig gereift und perfekt temperiert. Ein exzellenter Begleiter zum ersten Häppchen, das uns aus der Küche erreicht, zwei macaronartigen salzigen Keksen mit Apfelfüllung. Simpel aber hervorragend. Fruchtsüße des knackigen Apfels und die salzige Würze des Kekses ergänzen sich wunderbar.
Der erste Jubeljodler entfährt der Igelkehle dann beim zweiten Akt. Morchelflan mit Forellenkaviar wird aufgefahren. Keine ganz evidente Verbindung, sonst hätte man die Kombination vielleicht schon häufiger angetroffen. Es funktioniert aber ganz großartig. Weil der Flan die Morchelaromen zumindest im Anklang zurückhaltend transportiert, die Forelleneier daher nicht erschlägt, sondern ihnen gerade so Paroli bietet.
Eine leichte Süße im Flan spielt possierlichst mit der Salzigkeit des Rogens, prima Sache. Und im Abgang schaltet dann der Turbolader zu, da schiebt die Morchel den Fisch vom Gaumen wie der Audi den Mercedes in der Tourenwagenmeisterschaft.
So morchelig wird es, dass man gar nicht begreifen mag, wo dieses intensive Aroma sich während der ersten Sekunden am Gaumen versteckt hatte. Noch zehn Minuten nach dem letzten Löffelchen habe ich herrlichen Morchelgeschmack an den Papillen, großartig!
Dass überhaupt zehn Minuten Zeit sind, ehe der folgende Gang aufmarschiert, sei noch einmal bejubelt, betrommelt und belobigt. Im Eleven Madison hat man fast so viel Zeit wie der Typ aus dem Jack Daniels Commercial. Die kann man beispielsweise nutzen, um sich in die Weinkarte zu vertiefen.
Ein Telefonbuch. Mit vielen riesengroßen Weinen. Und noch größeren Preisen. Mir ist nach Riesling, deswegen wird eine Flasche Saarfeilser Großes Gewächs Fass 13 von Peter Lauer bestellt. 120 Dollar nimmt der Sommelier dafür, das ist akzeptabel, zumal sich der Wein in all seiner Jugend schon wunderbar zugänglich präsentiert.
Mag auch am Zalto- Glas gelegen haben, das hilft dem Wein, sich zu überwinden und sich wie in einer Psychotherapie zu öffnen. Er sollte den Rest des Menüs hervorragend begleiten, das halte ich lieber jetzt schon fest, ehe ich es am Ende vergesse.
Zum Beispiel die englischen Erbsen mit Wasserbüffeljoghurt und Pfeffer-Joghurtwasser-Sud. Wieder reibe ich mir die Igeläuglein, wie einfach es doch sein kann, etwas Grenzgeniales auf den Tisch zu bringen! Der intensive Eigengeschmack der Erbsen steht zunächst im Vordergrund. Dann greife ich etwas tiefer in den unten den Erbsen versteckten würzigen Joghurt - und schon wird es ein Dialog, in dem der Sud die Rolle des Moderators übernimmt. Gar nicht einfach, das Geschmacksbild in Worte zu fassen.
Das cremig-milchige Element und die grüne Frische der Erbsen montieren sich immer weiter gegenseitig auf. Die Texturen kontrastieren gar nicht so sehr, weil die Erbsen eher auf der weichen als auf der bissfesten Seite spielen. Trotzdem kleidet der Joghurt den Mund noch einmal anders aus. Im Sud dann die Würzung: Meersalz, Pfeffer und das eine oder andere Kraut. Faszinierend.
Als nächstes kommt Kunst. Anrichtekunst, denn der pürierte Weißfisch versteckt sich unter kunstvoll aufgeschichteten Radieschen. So bekommt er in der Küche wieder neue Schuppen. Daneben ruht ein Klecks Kapuzinerkressesauce.
Den darf man nicht links liegen lassen, der gehört unter den Fisch gerührt und dann gemeinsam mit den Radieschen auf die Zunge. Denn erst zu dritt geben sie ihr Bestes.
Perfekt gewürzt, das ist sehr intensiv, wobei der Fisch vor dem Pürieren zum Glück nur ganz leicht angeräuchert worden ist, so dass das Rauchige nicht als organoleptischer Baseballschläger daher kommt, sondern die Papillen gerade richtig zart streichelt.
Es folgt mein persönlicher Liebling des Abends, der Kaviar "Benedict" mit Ei, Schinken und Spargel. Erneut darf das Auge mitessen, denn diese Zutaten finden sich in einem echten Kaviardöschen zusammen.
Unten hinein ist eine kleine Lage Aspik geschlichtet, dann folgt eine Lage Eiercreme, auf der wiederum Spargelcreme mit Schinkenstückchen ruht. Obendrauf ein großzügiger Esslöffel Kaviar und darauf noch eine Nocke einer erstaunlich leichten Mayonnaise/Remoulade-Creme.
Wie immer bin ich versucht, die Elemente zunächst auseinander zu sortieren, um sie auch getrennt zu probieren. Ich gebe aber schnell auf, denn erstens ist es mühsam, zweitens ähnelt der Teller schnell einem Schlachtfeld und drittens habe ich ganz fix spitz, dass das Geschmacksnirvana nur zu erreichen ist, wenn man dem Koch vertraut und alles auf einmal in sich hineinlöffelt.
Das eigentliche Wunderwerk besteht wohl darin, dass der Kaviar, das empfindlicher Luder, hier nicht erschlagen wird, sondern die unterschiedlichen Cremes gerade so leise gewürzt sind, dass sie neben dem Rogen wahrnehmbar bleiben und diesem trotzdem seine Rolle als Stargast nicht nehmen. Verbeugung vor dem Teller, Verbeugung vor dem Chef in der Küche, das setzt neue Maßstäbe!
Die Gänsestopfleber mit Orange, weißem Spargel und Kamille reicht an dieses Niveau vielleicht nicht ganz heran. Jammern auf Him
alaya-Niveau, schon klar, denn die Leber an sich war ganz exquisit. Die in die Mitte eingearbeiteten kleinen Spargelstückchen untermalen den Lebergeschmack, spielen mit ihm, geben auch noch zusätzliche Salzigkeit ins Aromenkonzert, das passt sehr gut.
Über den hauchdünnen Kamillenkeks obenauf kann man streiten, das gibt so einen seifigen Hauch, den ich nicht ganz dringend brauche.
Und die Zitronencreme, klugerweise mit etwas Abstand angerichtet, ist ein wenig zu kräftig. Neben ihr hätte die Leber keinen Bestand, deswegen marschiert die Zitrone am Ende zurück in die Küche.
Der Maître schraubt nun plötzlich am Tisch herum. Er montiert einen Fleischwolf. Durch den er dann aber kein Fleisch, sondern Karotten dreht.
Der Möhrentatar wird sodann auf einem Holzbrett serviert und der Igel mit der Aufgabe betraut, das Zeug mit unterschiedlichen Gewürzen für sich abzuschmecken. Apfelwasabi, Meerrettich, Senfkörner, Salz, Wachtelei und anderes steht parat, gerade wie die Kapern, das Ei und die Zwiebeln beim Rindertatar.
Tja, wie soll ich sagen, es ist ein reiner Gag, der anders als die Geschichten mit den Radischuppen und dem Kaviardöschen leider etwas versandet, weil die geschmackliche Potenz von rohen Karotten doch begrenzt bleibt, selbst wenn man sich mit den gereichten Kondimenten den (Fleisch)Wolf würzt. So isser, der Ami, immer Showman! Hoffentlich kommt auch noch Popcorn!
Erstmal kommt aber der Hummer. Der in Butter zur Tischreife geschwenkt worden ist. Und mit etwas Löwenzahn
und Ingwer abgeschmeckt wurde. Die Butter-Ingwer-Sauce würde auch unter gehobenen Lyrikern als Gedicht
durchgehen, zumal da auch noch viel Extrakt von Hummerkarkassen mit einarbeitet wurde.
Der Löwenzahn
akzentuiert noch ein wenig, ein Klecks Kartoffelpüree hilft dabei, den Saucengenuss zu verlängern und auch
noch die letzten Buttertröpfchen am Tellerand dingfest zu machen. Großes Kino!
Danach gibt es wieder eine Showeinlage. Eine Stange grünen Spargel für jeden. In einer Schweinsblase gegart, die vom Maître mit großer Geste am Tisch vorgezeigt wird. In der Blase sei nicht nur der Spargel, erklärt er feierlich, sondern auch Gewürze, die viel besser in den Spargel eindrängen, wenn sie mit ihm zehn Minuten lang das Gefängnis der Schweinblase teilten.
Der Kellner heischt Applaus, bekommt ihn auch. Zwei, drei Vorhänge gibt es, dann fällt der Vorhang auch für die Schweinsblase, die am Tisch aufgeschnitten wird.
Der Spargel wandert auf einen Teller, dazu gesellen sich Kartoffelpüree und Sauce vom schwarzen Trüffel. Ich sage es ganz schonungslos - der ganze Rummel mit dem Schweineballon hat sich eher nicht gelohnt.
Mir war der Spargel überwürzt, das geht schon ins Überröstete, Rauchige. Eher schwierig und alles andere als Sterneküchen-Finesse. Aber das habe ich in dem Moment vergessen als ich die Sauce probiere. Ob die in einem Dutzend Schweinsblasen gegart worden war?
Intensiveres Trüffelaroma ist jedenfalls schwer zu generieren. Holla die Waldfee! Da ist auch so etwas wie Fleischextrakt mit drin. Mir war der Spargel überwürzt, das geht schon ins Überröstete, Rauchige. Eher schwierig und alles andere als Sterneküchen-Finesse. Aber das habe ich in dem Moment vergessen als ich die Sauce probiere.
Ob die in einem Dutzend Schweinsblasen gegart worden war? Intensiveres Trüffelaroma ist jedenfalls schwer zu generieren. Holla die Waldfee! Da ist auch so etwas wie Fleischextrakt mit drin.
Das Kartoffelpüree schreit förmlich nach einem Bad in diesem Elixier und fängt die Tuber samtigst auf. Der Gaumen weitet sich zum Broadway, die Geschmacksknospen blühen auf, das Zäpfchen setzt zum Solo-Karaoke von New York, New York an. If they can make it here, I would like to eat it anywhere. Wie vermeidet man an dieser Stelle den Begriff affengeil?
Zeit für das Kalb. Filet und Brust werden serviert. 25 Tage trockengereift und mit einer genial kräftigen, deutlich feuchteren Sauce auf den Teller gebracht.
Keine große Komposition, es ist einfach nur ein extrem kräftige Kalbfleischsauce, in die reichlich Knochenmark Eingang gefunden hat. Reicht mir, kommt genial. Dazu gibt es Kastanienpüree und geräucherten Wildlauch. Die Kastanien leider eine Spur zu erdig.
Warum der Lauch geräuchert werden musste weiß ich auch nicht. Hommage ans good old American Barbecue? Will sagen: Die Elemente verbinden sich nicht wirklich perfekt. Wie schon beim Trüffel-Spargel konzentriere ich mich auf das Beste, also das Fleisch, und bin trotzdem hochzufrieden.
Den Übergang zum Dessert läutet ein Kuhfrischkäse aus Connecticut ein. Anmachen soll ich ihn selbst. Ich versuche erst, ihm eine kostenlose Führung durch meine Briefmarkensammlung anzubieten, erinnere mich dann, dass der Spruch im Mail-Zeitalter nicht mehr so gut funktioniert.
Und finde gerade rechtzeitig Anmachhilfen am Tellerrand. Honig, eingelegten Rhabarber, Haferflocken und einige andere mehr. Wieder so ein IKEA-Gang. Und wieder funktioniert es nur eingeschränkt. Leute, ich zahle Unsummen für so ein Menü, und dann delegiert der Chef fortlaufend die Würzarbeiten an mich? Das prangere ich an! Immerhin mundet mir die Kümmel-Rhabarber- Waffel sehr, die dazu gereicht wird.
Einfach aber köstlich dann wieder der nächste Gang. Salziger Quark mit süßen Röstkuchenkrümeln. Interessanter Kontrast, in der Textur wie in der Aromatik.
Dann das eigentliche Dessert, frische und pochierte Erdbeeren mit ganz leicht gesalzenem Vanilleeis, etwas Shortcake, Holundersauce und Sektschaum. Genial vor allem das Vanilleeis, dem das Salz einen ungemein köstlichen Akzent gibt. Die Eiscreme spielt auch sehr nuancenreich mit der bisquitigen Struktur des Kuchens, von dem kleine Stücke im Eis und im Sektschaum eingearbeitet sind. Hervorragend!
Zum Abschluss dann noch ein Schokoladenratespiel: Jeder bekommt vier Stücke Schokolade, von denen je eines aus Kuh-, Schafs-, Ziegen- und Büffelmilch hergestellt worden ist. Der Versuch einer blinden Zuordnung der Schokostückchen zu den Tierarten scheitert kläglich. Was auch daran liegt, dass die Kakaoanteile unterschiedlich hoch sind.
Die am kräftigsten wirkende Schokolade ist die mit dem höchsten Kakaoanteil, und die kommt unfairerweise von der Kuh, der man ja eher die mildeste Schokolade zugetraut hätte. Nebendran stehen ein paar leicht gesalzene Schokobrezeln, fragt mich nicht, von welchem Tier, zu denen der Sommelier einen Apfelbrand aufs Haus serviert. Passt!
Und zum Abschied kriegt jeder noch ein Riesenglas hausgemachte Müslimischung mit auf den Weg, die nun wirklich Champions-League-Format hat. Krokantige Nüsse und Haferflocken, herrlich. Wäre mir zu schade, um es in die Milch zu werfen, habe ich über Tage zuhause im Igelbau pur gemümmelt.
Insgesamt ein grandioser Abend, die drei Sterne gehen trotz der einen oder anderen kleineren Schwäche für mich knapp in Ordnung, weil der Küche zwischendrin absolute Weltklassedinge herausrutschen. Mit etwas weniger Show-Element wäre ich noch glücklicher gewesen, aber das ist natürlich ein sehr individuelles Gefühl.
Am Ende der sechs New Yorker Schänken steht das Fazit, dass man im Big Apple sehr gut essen kann, auch jenseits von Burgern und Steaks :-) Es ist sicherlich etwas leichter, am Hudson drei Sterne zu bekommen als an der Seine, außer dem Masa
gab es aber keine wirkliche Enttäuschung und das Brooklyn Fare
schreit geradezu nach weiteren Staatsbesuchen des Igels.
Bald mehr, dann wieder von den europäischen Schänken. Also nichts wie auf zur 14. Etappe!