WGW - Willis Gourmet Werkstatt
- Vierschänkentournee Etappe 11 -
Masa

So ganz schlecht ist das ja nicht, wenn die Sternelokale im Einkaufszentrum sind. Man kann die beste Igelin von allen in Ruhe daran arbeiten lassen, den heimischen Kleiderschrank weiter auf seiner Einbahnstraße hin zum Bersten zu begleiten.

Während ich inzwischen meinerseits mit erlesenen Gourmethappen die Igelplauze auf ihrer Einbahnstraße hin zum Bersten promoviere. Über das per se im Warner-Center habe ich im letzten launigen Fressay schon berichtet. Am nächsten Tag ging es im selben Megastore eine Tür weiter ins Masa, dem japanischsten unter den Dreisternern New Yorks.

Von außen sehr unscheinbar, eine dicke, völlig undurchsichtige Milchglasscheibe schirmt das Lokal vom Trubel der Einkaufspassagen ab. Daneben eine unregelmäßige Naturholztür, hinter einem dieser typisch japanischen Fetzenvorhänge. Drinnen ein riesiger Tresen aus absolut flecklosem, hellem Naturholz. Sieht aus als hätte man das Ding am selben Morgen erst montiert.
Man setzt sich zwanglos dran, nur eine Serviette und zwei formschöne Stäbchen auf einem schwarzen Messerbänkchen vor sich. Im Hintergrund ein eleganter "blühender" Baum, der sogar trügerisch echt aussieht und in sorgfältig geharktem Kies steht, ein Hauch von Zen, Fressoterik halt irgendwie auch. Ansonsten schwarze Möbel, japanischer Minimalismus.Der Blick geht in die Küche, aus der leider hin und wieder ein Schwaden von heißem Fettdampf mehrerer Woks und ein wenig Rauch vom offenen Grill in die Igelnüstern zieht.

Zwischen diesen Heißstationen und dem Gourmetigel steht recht unauffällig noch mein persönlicher Sushimeister in der Landschaft herum, der sich verbeugt und mir in einem Englisch einen guten Abend wünscht, das wohl der Trümmerbruch unter den gebrochen gesprochen Sprachen sein dürfte. Zum Glück spreche ich Fressperanto, sonst hätte ich nur Union Station verstanden.

Dann tut er erst einmal nicht viel, der Sushimeister, denn es kommt die extrem übersichtliche Weinkarte. Zwei DIN A 5-Seiten, vielleicht 30 Positionen. Leider auch nicht unbedingt treffsicher ausgesucht. Und mit Koeffizienten versehen, gegen die der Fujijama wie ein Maulwurfshügel wirkt. Also sechs- bis siebenfacher US- Ladenpreis. Merci bien! Immerhin gibt es für 22 Euro das Glas einen frischen 2012er Chablis vom Vocoret. Glücklicherweise ungeholzt, der Igel ist ja kein Biber! Recht frisch, cremig, sollte ganz gut zur japanischen Küche passen.

Was eher Zufall ist, da niemand in der Lage war, mir zu verraten, woraus das von jedem Gast zwingend zu ordernde und im Voraus per Kreditkarte zu bezahlende Menü zu knapp 500 Dollar pro Nase bzw. in meinem Falle Schnauze denn so bestehen würde. Fotografieren durfte man auch nicht, deswegen heute mal nur Hörfunk. Die Erwartungshaltung war angesichts der himalayischen Preise natürlich ähnlich hoch wie die Koeffizienten der Weinkarte. Obwohl natürlich immer noch mehr geht. Die erste echte Amtshandlung des Sushimeisters bestand darin, dass er mir vorschlug, mein Menü doch noch um japanisches Rindfleisch zu ergänzen. Für den minimalen Aufschlag von 150 Dollar. An dieser Stelle verließ mich dann sogar mein Fressperanto, ich tat als verstünde ich nicht und winkte großzügig ab. Von irgendwo kommt plötzlich der erste Gang. Und der sieht aus wie eine Schokotrüffel. Besteht in Wahrheit aber aus Algenspänen, die sich um eine Masse aus Sellerie- und Gurkenschnitzen hüllen, in die nach Auskunft des Sushimeisters wiederum kleine Quallenstücke gesetzt waren. Die Qualle war weder geschmacklich noch optisch wahrnehmbar, gehört an sich auch gar nicht zu den Dingen, die ich unbedingt essen möchte. Das Ganze schmeckte nur nach Sellerie und nicht besonders interessant. Recht sinnfrei. Gleich danach der Höhepunkt des Abends, ohne dass ich da allzuviel vorweg nehmen wollte. Kaviar von exquisiter Qualität wurde recht großzügig auf einen tartarisierten rohen Thunfisch geschlichtet. Obenauf noch drei bis fünf Schnittlauchröllchen, mehr nicht. Perfekte Zutaten, in perfekter Temperatur und perfekter Dosierung miteinander verbunden. Küche kann so einfach sein, ein Hochgenuss. Dazu wurden auf einem heißen Keramikstein zwei Toasteckchen serviert, die den Kaviar glänzend untermalten. Leider sollte es das einzige Brot sein, das ich an diesem Abend zu sehen bekam. Meiner Unart, nebenher immer mal wieder etwas Baguette zu mümmeln, um den Gaumen zu neutralisieren, wurde also kein Vorschub geleistet. Im Gegenteil, auf ausdrückliche Nachfrage wurde ich beschieden, man habe kein Brot im Haus.

Dritter Gang: Sashimi vom japanischen rosa Bonito. Erst unterschätzt, weil das Zeug in einer angenehm säuerlichen, insgesamt aber deutlich zu kräftig wirkenden lauwarmen Sojasauce serviert wurde. Dann nahm ich aber die darauf gehäuften Kräuter dazu und plötzlich passte es. Würziger und zugleich überraschend fruchtig wirkender Klee milderte den Soja ab und fischte den Bonito wieder aus dem braunen Meer heraus. Dazu japanische Glasnudeln, nicht schlecht. Wäre mir durchaus zwei Sterne wert gewesen. Vierter Gang: Fritierter Krebs mit einem fritierten Bündel eines grünen Krautes, dessen Identität sich dem botanisch außerhalb der vitis-Familie wenig versierten Igel nicht erschloss, zumal die Ansagen des Sushimeisters weiterhin so wirkten, als harke der schon mal den Kies für einen weiteren Zen-Garten unter seiner Zunge. Letztlich nicht kriegsentscheidend, denn geschmacklich bewegten wir uns hier in der dritten Potenz der Belanglosigkeit.Fünfter Gang: Roter Krebs mit Kräutern in leicht zitronierter säuerlicher Sauce. Mundgerecht filetiert und in einem Stück Krebsschale serviert, das wie eine Schere einer dieser riesigen Kamtschatka-Krabben wirkte. Die Präsentation überzeugte mehr als der Inhalt. Geschmacklich war es neuerlich höhepunktfrei. 

Sechster Gang: Eine völlig nichtssagende Suppe. Sternelokal? D R E I Sterne??? So langsam kamen größere Zweifel auf. Nun folgten knapp zwanzig unterschiedliche Sushi-Stückchen. Um nicht ungerecht zu sein, die Sushis wurden artgerecht zubereitet. Soll heißen, dass der Fisch extrem frisch war, perfekt geschnitten, beste Qualität und so auf einen gerade etwas mehr als lauwarmen Reis gesetzt wurde, dass er in den zehn bis zwanzig Sekunden zwischen "Montage" und Verzehr Raumtemperatur annehmen konnte. Zweitens wurde das Ganze sehr liebevoll serviert. Auf dem Tisch vor mir ein rosa Bällchen. Schaut aus wie eine Kugel Eis, ist aber sanft marinierter hauchdünn aufgeschnittener Ingwer, der den Fisch nicht erschlägt, wenn man zwischen zwei Sushihappen mal ein Blättchen einschiebt. Daneben ein Schälchen Sojasauce, nicht ganz ernst gemeint, denn die Sushistücke sollten in dieser Liga denn ja doch ohne sowas auskommen. Nur bei den zwei, drei Makis rät mir der Meister, noch kurz in die Sauce zu dippen. Und dann steht da auch noch eine Fingerschale mit Zitronenwasser. Hilfreich falls man dem Rat des Meisters folgt und das Sushi mit der Hand einwirft. Die Sushihappen werden nicht à la minute, sondern à la seconde zubereitet, der Meister rollt sie vor meinen Augen aus dem lauwarmem Reis mit einem Hauch Wasabi zusammen, legt den Fisch obenauf und lackiert kurz mit Sojasauce. Dann würde er mir das wohl am liebsten mit einem Dreipunktewurf gleich in den Mund schmeißen, doch gibt es als kleines Zugeständnis an die Esskultur noch einen kurzen Zwischenstopp auf einem Porzellandreieck. Dabei ermuntert mich der Meister ein ums andere Mal, sofort zuzugreifen. So dass ich noch den Mix aus Temperaturen und Texturen in seiner vollen Schönheit erleben darf. Perfekt gewürzt ist das in vielen Fällen auch, also schon Top-Sushi. Nur, wie bewertet man das? Sterne für Sushi? Auch wenn es wirklich toll gemacht ist, sträube ich mich da ein wenig. Weil ja nichts komponiert, kreiert, erfunden ist, sondern alles nur handwerklich perfekt montiert wird. Das können schließlich auch viele andere ohne Stern und deutlich unterhalb der 500 Dollar-Schwelle ganz gut. Die Offenbarung, das geniale Moment, die Innovation, das alles fehlt. Gutes Sushi, ja, sicher, aber das kriege ich für etwa 100 Dollar in Tokyo auch, gleiche Qualität. Und selbst in Toronto weiß ich einen Schuppen, wo man perfektes Sushi à volonté für zweistellige Dollarbeträge bekommt. Vielleicht ein paar Details, um meine Ratlosigkeit zu illustrieren: 

Erst gab es vier oder fünf Standardstückchen. Der Name der Fische wurde origineller Weise nur auf Japanisch mitgeteilt, das lässt sie natürlich gleich viel exklusiver wirken. Obwohl es sowas wie Lachs, Makrele und Thunfisch gewesen sein dürfte. Nett, perfekt hergerichtet, mehr nicht. Auf einem war noch ein wenig roh juliennisierter Radi, lecker, aber für den Eigengeschmack des Fisches tödlich. Dann ein sehr fetter Fisch, über den rosa Steinsalz und etwas Limonenschale gegeben wurden, was leider ein frakturiertes Geschmacksbild von fettem Fisch einerseits und nicht integrierter Zitrone andererseits ergab. Schade! Als nächstes ein Shrimp-Happen, nicht mit dem Formfleisch aus der Supermarkt-Billigheimervariante, sondern mit einem echten Shrimp, endlich mal. Sehr feiner Krustentiergeschmack, geht doch! Nun ein Häppchen vom orangen Krebs, na ja, nicht jeder Eigengeschmack verdient es, intensiv herausgearbeitet  zu werden. Das gilt auch für meinen Vetter den Seeigel, der anschließend seinen Auftritt hatte und als geräuchertes, nein, überräuchertes Inlay einer Makirolle serviert wurde. Nicht mein Fall! Dann ein Fisch, denn die Jungs am offenen Feuer im Bildhintergrund à la seconde gebraten hatten. Heiß und ohne Reis, also eigentlich kein Sushi. Aber ganz nett, wenn auch weit von Sterneküche entfernt. Deutlich besser der danach kalt servierte Happen vom Thunfisch, den man mit Kreuzkümmel aufgepeppt hatte, ich vermeide hier wirklich nur unter Tränen das billige Wortspiel und spreche nicht von Kreuzkümmel-T(h)uning.

Weiter ging es mit einem sehr scharf angebratenen Shiitake-Pilz, der zum vegetarischen Sushi aufgemotzt wurde, wobei Wasabi und Sojalack nicht wirklich gut zum Pilzaroma passten. Danach plötzlich ein ganz feines Makrelensushi. Das grenzte an Rauschmittel, mehr davon, flehte ich den Sushimeister an. His turn, kein Englisch zu verstehen. Statt dessen legte er mir einen Salzwasseraal vor, auf den wieder die schon bekannte Kombination von rosa Salz und Limonenschale gehobelt worden war. Ziemlich unangenehmer Fisch, zu dem diese Würze nicht wirklich passte. Das galt auch für den zu Vergleichszwecken direkt danach in gleicher Zubereitung servierten Süßwasseraal - nur ihre Mutter kann sie auseinanderhalten. Immerhin kam dann noch einmal ein Höhepunkt, wieder ein Pseudosushi, ein Reisbällchen, über das Parmesan und sehr gut weiße Trüffeln gehobelt wurden. Endlich mal eine Komposition. Trüffel und Parmesan vertragen sich perfekt und gehen auch kameradschaftlich mit dem Reis um. Da es exzellente Trüffeln sind und der Käse nur sparsam zum Einsatz kommt, wird aus der simplen aber bestens dosierten Mischung sofort ein himmlisches Erlebnis. Endlich wieder ein Anflug von Sterneküche! Toppen konnte man das nicht mehr, doch wurde noch einmal Top-Sushi gereicht, Thunfischmaki mit nur einem Hauch Reis, köstlich! Auch die zum Abschluss der Sushiabteilung gereichte Lotoswurzel à la Sushi mit Kreuzkümmelblättchen war angenehm, etwas überwürzt vielleicht. 

Deplorabel das Dessert, ein Grapefruitsorbet, das eigentlich ein reines Granité war und viel zu säuerlich daher kam. Dazu ein rauchiger Tee, sinnfrei und wirklich nicht zum "Sorbet" passend. Nach rund 80 Minuten war das Spektakel vorbei, knapp dreißig kleine Häppchen verputzt und 500 Dollar verbrannt. Viel zu teuer, gar keine Frage, das böse Wort der Abzocke waberte mir so etwa ab der Mitte des Parcours durch das Hirnkastl.


Natürlich kann man sich trefflich drüber streiten, ob und wie japanische Küche allgemein und Sushi insbesondere mit unseren europäischen Essgewohnheiten und Sternemaßstäben unter einen Hut gebracht werden kann. 


Letztlich sicherlich ein recht individuelle Geschichte, die jeder für sich mit seinem Gaumen ausmachen muss. Mir fehlte es im Masa jedenfalls an der Kreativität, am Überraschungsmoment, dem innovativen Effekt. 


Mas(s)aker am Geldbeutel! Einen Betrag, für den man zwei ausgedehnte Abende in Lokalen wie der Traube Tonbach, in der Rottacher Überfahrt oder der Auberge de l'Ill zelebrieren und höchste Kochkunst genießen kann, muss man hier auf den Tisch legen, um etwas lieblos im Hauruck-Verfahren mit Kunsthandwerk abgespeist zu werden. 


Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass hinter dem Baum und dem frisch geharkten Kies irgendwo der Patron in der Kulisse saß und sich vor Lachen über seine Gäste tiefere Furchen in die Schenkel schlug als sie der Rechen dem Kies beigebracht hatte. Doch es geht auch noch viel besser in New York, das großartigste Lokal von Manhattan steht sowieso in Brooklyn.


Dazu mehr im 12. Etappenabschnitt!


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