Der Gysi hat angefangen. Rülpste der doch schon vor dem Parteitag seiner Linken in die Mikrophone, es gehe nicht an, dass die AfD der Linkspartei die Wähler wegnehme: „Wir können doch nicht zulassen, dass die Armen, Ausgegrenzten und Frustrierten jetzt die Rechten wählen.“ Wobei er in der Aufzählung glatt noch die Asozialen und die Zuschauer von RTL 2 vergessen hat – obwohl das nun eigentlich wieder dasselbe ist. Jedenfalls tritt der Gysi plötzlich auf, als wären die Stimmen all dieser Zielgruppen Privateigentum der Linken. Die ja per se gegen Privateigentum ist. Insofern kann man die Linken vielleicht mit dem Argument trösten, die Stimmen der Asis würden jetzt einfach vergesellschaftet?
Ist schon bitter, da erzählt man als Linker den Verlierern im Osten über Jahrzehnte, sie seien gar nicht selbst für ihr Loserdasein verantwortlich, die Schuld habe der Turbokapitalismus und der Westen, der alles platt gemacht habe, und die unfähige Bundesregierung und überhaupt. Und dann kommt einfach eine AfD aus der Kanalisation hochgekrochen, eignet sich die mühsam gestrickte Legende an und setzt noch eine Ausbaustufe drauf, nur leicht moduliert, indem man der Liste der exogenen Faktoren für das Elend der Neufünflandianer einfach noch die im Osten bekanntermaßen gar nicht vorhandenen Ausländer hinzufügt.
Tja, liebe Linkspartei, habt Ihr einfach nur vergessen, Euch auf die eine oder andere Hetzparole ein Copyright eintragen zu lassen? Oder habt Ihr das sogar und ist die AfD eine Art Raubkopie? Halt keine Schwarzpressung, sondern eher eine Braunpressung? Oder stimmt dann doch, was der Stoiber schon vor Jahrzehnten in eine Fernsehkamera gestammelt hatte, dass nämlich auch die Nationalsozialisten in erster Linie Sozialisten seien?
Historisch wäre das zumindest für das dritte Reich wenig belegbar, wo die Nazis ja die gesamte Linke bis hin zu den Sozialdemokraten bitter bekämpft haben. Andererseits kämpfen die Lafontaines und Ramelows manchmal auch mehr gegen die SPD als gegen die AfD, insofern passt's fast wieder.
Der Igel zieht die Konsequenz und sucht sich aus gegebenem Anlass sicherheitshalber lieber gleich einen Nachbarn, von dem er sich gerne mit Süßkram bombardieren lassen würde. Also bin ich neben dem "Lameloise" eingezogen. Das heißt nur noch so, nach dem langjährigen Inhaber und Chefkoch, in Wahrheit steht da längst Eric Pras am Piano. Aus dessen Küche kommen zuverlässig mit die besten Desserts der französischen Spitzengastronomie. Und wenn ich mir die schon servieren lasse, dann nehme ich vorweg gerne auch noch den Rest des Menüs, man gönnt sich ja sonst nichts. Aber der Reihe nach! Ich fang mal vorne an, gaaanz vorne, also nicht bei den Amuses, sondern historisch:
Das Haus Lameloise, das war über fast vierzig Jahre Jacques Lameloise. Ein ruhiger, bescheidener Mann, eher ein Arbeiter in der Küche als ein Genie. Einer der mit Akribie und Fleiß unterwegs war. 1971 übernahm er das Restaurant von seinem Vater, der sich immerhin einen Michelin-Stern erkocht hatte. Unter Jacques Ägide kam schnell ein zweiter Stern hinzu und 1979 ging es dann in den Olymp der Dreisternehäuser. Bis 2005 wurden die drei Sterne gehalten, dann ging einer verloren, den sich Jacques schon 2007 wieder erkämpfte.
Wahrscheinlich hätte in dieser ganzen Zeit kaum ein Gourmet auf die Frage nach dem besten Restaurant Frankreichs das Lameloise genannt. Zu wenig repräsentativ erschienen die Räumlichkeiten, zu bodenständig wirkte der Chef. Ein solches Lokal "en vogue" geraten zu lassen, das weiß man, das ist bekannt, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Und, aus der Distanz des Gastrohistorikers sei die Kritik erlaubt, auch der Igel hätte nach seinen Besuchen an das Restaurant eher zwei als drei Sterne angeschraubt.
Und ist dennoch immer wieder gekommen, auch weil die Preise sich eher auf dem Niveau von zwei Sternen bewegten. Lameloise lag damals in den Neunzigern, als die Tarife noch in Francs gemacht wurden, mit etwa 500 Francs für ein großes Degustationsmenü deutlich unter der bei den Dreisternern seinerzeit üblichen Größenordnung von 700 bis 800 Francs.
Genau auf der Linie ging es weiter. Unscheinbare kleine Häppchen, die dann aber am Gaumen regelrecht explodierten. Zum Beispiel das Popcorn. Das mit Schneckenbutter angeknofelt und angekräutert war. Dezent natürlich nur, gerade so, dass es auch noch nach röstigem Mais schmeckte und die Kräuter gegen den Knoblauch noch bestehen konnten.
Dann ein paar Oliven, eine spezielle, nierenförmige Sorte aus dem Languedoc. Pur, ohne dass die Küche etwas damit gemacht hatte. Köstlich! Und fast frech, so etwas einfach mal unveredelt auf den Tisch zu stellen.
Noch ein Klassiker: Melone mit Schinken. Hier als vollreife Cavaillonmelonenkugeln präsentiert, über die etwas Schinkenpuder gestäubt war. Obenauf dann ein Würfelchen Ziegenkäse, herrlich!
Dann Schnecken im Algenmantel. Zwischen dem Mantel und der Schnecke wohnte noch einmal eine Mischung aus Knofel und Kräutern, aber anders aufbereitet als beim Popcorn, hier nämlich mit Sahne aufmontiert.
Fein, cremig in der Konsistenz und wieder perfekt abgestimmt, die Sahne nahm den Knofelkräutern genug an Intensität, dass dem sehr zarten Eigengeschmack der Schnecken noch Raum blieb.
Da die beste Igelin von allen ganz artuntypisch keine Schnecken mag und dies der Küche schon vor den Amuses mitgeteilt hatte, bekam sie statt der Weichtiere eine Mousse von Karotten und Curry auf einem Reiscracker.
Klingt auch wieder profan und nicht sonderlich innovativ, war aber erneut voll auf dem Punkt und erlaubte, im Einfachen das Große zu finden. Zudem sehr aufmerksam vom Service! Den Vogel unter den Amuses schoss aber - mitten in der Schonzeit - der Stopfleberlolli in weißem Schokomantel ab.
An sich gehen bei mir alle Warnlampen an, wenn sich einer daran macht, Stopfleber und Kakao zu vermählen.Das stand mal irgendwo bei Bocuse oder vielleicht Ducasse, dass das großartig passe. Seitdem arbeiten sich daran gefühlte Millionen von Köchen ab - und versemmeln die Geschichte zu 98 bis 99 Prozent.
Weil man nur einen Hauch Schokolade nehmen darf. Im Vendome gab es das mal mit einem Schokofädchen in einem Leberquader, da war das Fädchen mit bloßen Auge gerade so zu erkennen.
Nur so gehts, dann gibt's der Leber einen Zusatzkick. Übertreibt man es mit der Schokolade, erdrückt sie die zwar kräftige, im Idealfall aber sehr nuancierte Aromatik der Leber und macht daraus einen Fettbolzen. Weil die Frucht untergeht.
Pras gehört zu den wenigen, die bei Ducasse oder Bocuse auch das Kleingedruckte gelesen haben und diese Klippe deswegen zu umschiffen verstehen.
Nicht nur ist der Kakaomantel so dünn, dass die Stopfleber im Winter sicherlich gefroren hätte, es ist auch noch ein Kleckschen Mango mit eingearbeitet, die wiederum die fruchtige Komponente stärkt und dafür sorgt, dass die Komposition nicht nur funktioniert, sondern für ein Minütchen die Pforten zum Himmel zu öffnen scheint.
Die leicht panierten Wachteleier kamen da nicht ganz heran, das einzige etwas nichtssagende Element in diesem warmen Regen von Amuses.Das Küchlein von der Juraforelle bügelte dies aber sofort wieder aus, sanft geräuchterter Fisch, fast noch Sushi, in einem Sandkeks mit einer hauchdünnen Gurkenscheibe und einem Kügelchen Forellenkaviar auf einem nur unter dem Mikroskop zu erkennenden Klecks Creme Fraiche. So geht Top-Sushi, liebe Freunde im
Masa !
Zum Abschluss noch einmal das Spiel mit der Rustikalität, es kam eine hauchdünne, leicht getoastete Graubrotscheibe mit einem Stückchen Rosette, der klassischen französischen Salami, und einem Radieschenspan.
Wieder ganz einfach, keine Koch"kunst" aber nach dem aufwendig komponierten Fischhäppchen ein Kontrapunkt, der funktioniert.
Der buchmäßige Auftakt des Menüs machte das kleine Zwischentief sofort wieder wett.
Saftige Hummerscheiben, dazwischen transparente Ravioli aus Wassermelonensaft, die mit Taschenkrebs-fleisch gefüllt waren.
Dazu leicht in Balsamico und Wein gesäuerte Wassermelonenwürfel und eine fast zu kräftige, ungemein intensive Hummerbisque. Und nebendran ein Stückchen elysischer Hummer im Tempurateig. Knusprig und perfekt gewürzt. Auch die anderen Hummerstückchen fielen in die Rubrik Gedicht, die Wassermelone passte perfekt dazu, zumal der Hauch Balsamico noch Säure und Tiefe beisteuerte.
Grandios!
Auf ähnlichem Niveau ging es weiter. Es kam die Lotte, auf der Haut gebraten, mit Haselnusssplittern, Rhabarberstückchen und kross gebratenen Zanderschuppen bestreut, angerichtet mit einer vierteiligen "Deklination" von Zucchini, die als Julienne, Mousse, Püree und zitronierter Schaum serviert wurde. Nebendran liegen noch ein paar Pfifferlinge, ganz kleine, feine. Allein wirkt die Lotte fast fad, doch dann nehme ich Nüsse und Rhabarber hinzu und sofort wird sie zum fliegenden Fisch.
In der nächsten Ausbaustufe packe ich noch einen Pfifferling mit auf die Gabel, der sofort mit der Nuss zu sprechen beginnt. Die beiden nehmen den Fisch nun in die Zange und bekommen dabei Schützenhilfe von einem köstlichen Nussbuttersabayon, den der Maitre rundherum angegossen hatte. Oder besser angehäufelt, denn das Zeug ist nahezu steif geschlagen. Sehr intensiv, wie eine perfekte beurre blanc, allein die Nussbutter wäre mir jede Höchstnote wert gewesen! Aufgetunkt wird sie, bis das Brot alle ist.
Nachdem der erste Hunger gestillt ist, wird es Zeit, auch mal einen Blick auf die Einrichtung zu werfen. Natursteinmauern, viele Holzbalken, mal recht wuchtig, mal eleganter, da hat sich seit Lameloises Zeiten wenig verändert. Neu sind einige der Ölgemälde, die dem Haus einen moderneren Anstrich geben.
Dazu tragen auch die Leuchten bei, die wie große Fackeln eher schräg von der Wand hängen als dass sie auf dem Boden stehen. Zum gehobenen Gastroerlebnis tragen auch die auf den Wein abgestimmten Spiegelaugläser, die edlen Karaffen und das außergewöhnlich freundliche, entspannte Servicepersonal bei. Perfekte Beratung, von der man genau so viel bekommt, wie man möchte. Fünferlei selbstgebackene Brote werden angeboten, perfekte B-Note!
Als nächsten Gang fliegt die Taube ein. Gelandet ist sie auf Blumenkohlpüree, eingelegten Blumenkohlscheiben, Spitzen vom lila und grünen Blumenkohl, Mirabellen und Kräutersemoule. Superbes Fleisch, neben dem Filet gab es auch ganz sensationell gewürzte Keulen. Die Filets waren in Mandelmilch pochiert und anschließend gebraten worden, mit einigen Mandelscheibchen.
Als Sauce goß der Maitre einen Schluck Taubenessenz an, die sich sofort sehr innig mit dem Blumenkohlpüree und den Mirabellen einließ. Menage à trois, was will man machen, wir sind in Frankreich, da gehört das fast zum guten Ton. Sehr fein abgestimmtes Gericht, alles spielt verträumt miteinander, so geht Hochküche.
Natürlich gab es vor dem Dessert die Chance auf eine Runde mit dem Käsewagen. 25 teils klassisch, teils regionale Sorten, alle perfekt auf dem Punkt, sehr großzügig portioniert, man kann nicht sagen, dass das Lameloise versucht hätte an uns zu sparen. Es folgte ein recht gewagtes Predessert, in einer Tasse serviert, auf deren Boden Kirschen geschlichtet waren, darauf dann eine Schicht Zitronenzesten, eine Schicht Basilikumschaum und obenauf ein Granité aus Apfel und Rosmarin.
Eigentlich sehr gegensätzliche Aromen, aber wenn man dem Rat des Maitres folgte und alles erst einmal vermischte, dann stellte sich eine höchst überraschende Harmonie ein, in der der Apfel den Kirschen nicht wehtat und das Basilikum mit dem Thymian nicht in Konflikt geriet. Im Gegenteil, man zog sich aneinander hoch und so ergab sich am Gaumen ein richtiges Feuerwerk.
Ein Macaron von Zitrone und Marzipan, in dem Leichtigkeit der Frucht und Marzipanpower einen epischen Kampf über 12 Runden austrugen. Ein Karamell von der Passionsfrucht, der wie ein Maßanzug an meine Papillen passte. Und eine unangemeldete Ansammlung von Haselnuss, Erdnuss, Pistazie und Pekanuss auf dunkler Schokolade. Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen, die Versammlung wurde von meinen Zähnen zügig aufgelöst.
Absolute Spitzenpatisserie in fast schon epischer Breite, damit hat Pras dem Haus ein Alleinstellungsmerkmal verpasst, das es deutlich von anderen Toprestaurants abhebt. Diese Süßwaren darf mir die AFPDS jederzeit gerne ins Gesicht klatschen, möglichst gleich in die weit aufgerissene Igelschnauze. Dafür ginge ich sogar zum Parteitag, wenn's sein muss.
Aber man muss eben auch Prioritäten setzen - schließlich hält Essen Leib und Seele zusammen.
Aber man muss auch Prioritäten setzen können, und ich persönlich bevorzuge statt leerem Geschwafel eben innere Reichsparteitage. Schließlich hält Essen Leib und Seele zusammen.
Die
28. Etappe führte mich also wieder mal nach Paris.