Immer nur diese Sauferei, das bekommt einem Igel auf Dauer nicht. Deswegen habe ich mir etwas Bewegung verschrieben. Kaum zu glauben, was man zum Beispiel so alles an Kalorien verbrauchen kann, wenn man kräftig mit Messer und Gabel arbeitet. Immer schön aus dem Ellenbogen, das gibt Muskeln und hilft gegen den Waschbärbauch.
Also raus aus der Wohnhöhle und sportlich-dynamisch losgelegt zu einer kleinen Tour durch einige hochdekorierte Lokale. Der Gesundheit zuliebe!
Den Anfang macht die Auberge du Vieux Puits in Fontjoncouse. Wo das ist? Hmm, ja, diesen Schlemmertempel besonderer Güte haben die Franzosen besonders gut versteckt, damit wir dummen Ausländer ihn nicht so einfach finden. "Eine halbe Stunde von Narbonne entfernt" klänge nicht wirklich kompliziert, aber Fontjoncouse ist so ein Ort, wo Google die Straßen noch nicht abgefilmt hat. Gibt man das ins Navi ein, zuckt es mit den virtuellen Schultern und würde, wäre der Satz denn programmiert, am liebsten "verarschen kann ich mich alleine" sagen.
Da hilft nur der Michelin-Straßenatlas. Der zeigt, dass man erst einmal von Narbonne aus auf der Nationalstraße in Richtung Perpignan fahren sollte, dann, so kurz vor Sigean, rechts ab, durch die Corbières, vorbei an Château Lastours und Château Haut-Gléon.
Der Dachs rechts neben der Straße ist bei Michelin nicht eingezeichnet, er wartet wohl auf den Fuchs und den Hasen, die sich hier gleich gute Nacht sagen werden. Immer enger werden die Straßen, irgendwann ist dann ein Dorf mit genau einem Gewerbesteuerzahler erreicht, Fontjoncouse.
Der Gewerbesteuerzahler heißt Gilles Goujon und ist Koch. Drei Sterne hat er sich im Michelin erarbeitet, nur deswegen habe ich diese Kurverei überhaupt auf mich genommen. Was ein Stress, jetzt muss ich erstmal chillen und die Ellbogen, die ich ja eigentlich mit Messer und Gabel und nicht mit dem Lenkrad trainieren wollte, wieder entspannen. In der Bar, auf eleganten Sitzmöbeln in fußbroicheskem Ochsenblutrot. Im glasweisen Ausschank gibt es Bollinger Rosé und Jahrgangstaittinger, das macht locker. Dazu werden Amuses gereicht, die Maßstäbe setzen, wie sie selbst die dreigesternte Küche selten erreicht! Ein Trüffelbonbon mit flüssigem Trüffelinhalt und wir reden hier von Melanosporum, nicht von Aestivalis, obwohl es erst September war. Großes Kino, vier Sterne! Direkt nach dem warmen Trüffelhappen folgte ein kaltes Gazpachobonbon, konzentrierte Gemüsearomen, pfiffig und perfekt gewürzt, phantastisch! Dann ein Apfel-Blutwurst-Röllchen. Das klingt profan, nach Köbes, nach Himmelunnääd, aber weit gefehlt, das Ding kommt so fein und elegant daher, dass man es mit der profanen Blutwurst gar nicht in Verbindung bringen mag. So ging es weiter, fast im Minutentakt, als nächstes wurde ein karamellig-salzig überkrustetes Stückchen Kartoffel-Zitrusfrüchte-Schnee gereicht.
Irgendwie marshmallowig innen und außen kross. Ein gelungenes Spiel von Texturen und zudem raffiniert mit den Kontrasten zwischen sauer,salzig und süß spielend. Der fünfte Streich wirkte dann eher unscheinbar, ein Radieschen und, tja, was? Noch einGemüse, am ehesten an rote Beete erinnernd, auf einem schwarzen, leicht süßen Knuspertaler, so eine Art Mandelkeks nur ohne Süße. Ebenfalls ein Hochgenuss, auch wenn nicht genau aufgeschlüsselt wurde, was wirda eigentlich zu uns nahmen! Das letzte Kabinettstückchen dann schließlich ein Schweinsfuß, sehr fein gewürfeltunter Vinaigrette-Schaum. Zitat aus der Bistroküche, zumal der Schaum wirklich so sauer daherkam, wie es dieBistrovinaigrette im gallischen Hexagon nun einmal zu tun beliebt. Nicht ganz so fein wie die anderen Häppchen,eher deftig, deswegen mit Recht an den Schluss gestellt.
Zeit in den eleganten Salon an den Tisch zu wechseln, zumal diese Appetithappen alle ganz zwanglos mit den Fingern zu essen waren, ich ja nun aber angetreten war, durch harte Besteckarbeit der Wampe an den Kragen zu gehen.
Bei nächsten Amuse konnte ich immerhin schon einmal mit dem Löffel arbeiten, aufgetischt wurde ein Eisbecher voller unterschiedlicher Tomatensorten, abgerundet mit jeweils einem Klecks Basilikum- und Tomatengranité sowie einer feinen Tomatencreme als Schlagobers und einem Fädchen jungfräulichen Olivenöls als Sauce. Das Ganze verlangt wohl eher wenig Kochkunst, entpuppte sich aber als grandioses Geschmackserlebnis.
Technisch deutlich aufwändiger dann der erste richtige Gang unseres Menüs, das "vergammelte" Hühnerei. Ein gepelltes dickes Ei, das unverzüglich aufzuschneiden ich vom freundlichen Kellner geheißen wurde. Statt des gelben Dotters quoll eine grünlich-schwärzliche Masse heraus.
Und ein unfassbarer Duft nach Melanosporum. Der Kellner goss noch ein wenig getrüffelte Eiersahne rundherum und hobelte frischen Aestivus drüber. Den hätte es wahrlich nicht gebraucht, denn die unglaubliche Eigelb-Trüffel-Mischung aus dem Ei war auch ohne das Sommertrüffelchen schon eines der größten Geschmackserlebnisse meiner Fresssackkarriere! Dem Ei war zunächst der Dotter abgezapft worden. Ersetzt hat man diesen dann durch eine Mischung von Eigelb, Trüffelbutter und Trüffeln. Wie das technisch hinzukriegen ist, dass einerseits das Eiweiß schon fest genug ist, um die Form nicht zu verlieren, wenn das Eigelb aus dem Ei gezapft wird, das Eigelb zugleich aber noch flüssig genug, um es abzapfen zu können, kann ich nur spekulieren, Koch und Kellner grinsten auf meine Frage nur. Dafür wurde verraten, wie Goujon es anstellt, im September so gute Wintertrüffeln verarbeiten zu können. "Die packe ich im Verhältnis 500g Trüffeln zu 1 kg Butter dick in Butter ein und lagere das Ganze bei niedrigen Temperaturen, so halten sie sich ein halbes Jahr.“
Scheint zu funktionieren, noch nie habe ich außerhalb der Trüffelsaison ein so grandioses Trüffelgericht gegessen. Es wurde sofort in meine persönliche Hall of Fame der Lieblingstrüffelgerichte aufgenommen, neben Haeberlins getrüffelter Gänsestopfleber, den Artischockentrüffeln aus dem George V oder dem Trüffelcappuccino aus der Londoner Aubergine, der Bocuseschen Trüffelsuppe und dem Huhn im Demi-Deuil von Pierre Gagnaire.
Selbst die Brioche, die Goujon als Beilage reichte, ganz wichtig für das Auftunken des Eigelbs, war noch getrüffelt. Wie auch das Gläschen mit Pilz-Cappuccino, das er daneben stellte. Das hätte es allerdings nicht gebraucht. Isoliert, als Amuse, wäre das eine tolle Sache gewesen, weil die Steinpilze und Pfifferlinge, die darin verarbeitet waren per se schon großartig schmeckten und durch die Trüffel noch einmal einen zusätzlichen, überraschenden Schliff bekamen. Dezenter als beim Ei, aber deutlich wahrnehmbar. Doch ergänzte dieser Cappuccino die Hauptsache nicht wirklich, sondern stand eher daneben, lenkte ab. Kann man weglassen.
Sehr positiv fiel mir auf, wie locker und entspannt der Chef wirkte, der in diesem Moment seine Runde durch den Saal machte.
Er gab auf Nachfrage das eine oder andere seiner Küchengeheimnisse preis und nahm sogar bereitwillig meine Kritik an den ziemlich unanständigen Koeffizienten seiner Weinkarte an. Ist ja ganz nett, wenn man vor allem einfachere bis mittelklassige Weine aus der Region führt, die geringe Spanne, die sich damit erwirtschaften lässt, wenn man den Koeffizienten moderat hält, sollte man dann aber auch hinnehmen. Und nicht einen Wein, der nebenan auf dem Gut 17 Euro kostet, für 140 Euro auf die Karte setzen.
Unprätentiös wirkte auch der Service des Hauses, dem mit etwas weniger gutem Willen an der einen oder anderen Stelle freilich auch das Etikett "unbeholfen" hätte umgehängt werden können. Doch dazu später noch ein wenig mehr.
Erst einmal zurück zum Wesentlichen, zu dem auf den Tellern.
Da wurde als nächstes ein Saint-Pierre mit sphärischer Tomatentarte serviert. Sphärisch, weil dieses Kunstwerk, so eine Art Meringue, in der Tomaten, Basilikum und Schafgarbenemulsion trefflichst miteinander spielten, sich kunstvoll in höhere Atmosphärenschichten zu erheben beliebte.
Dazu wurde noch eine Jakobsmuschel mit sehr würzigem Gemüse gereicht, alles perfekt auf dem Punkt, wieder ein wunderbares Spiel von Aromen und Texturen, volle Punktzahl, Klasse!
Dann ein Rouget auf einer Kartoffel, um die herum sich Muscheln, Seeschnecken und würzige Gemüsewürfelchen tummelten. Drüber hing ein Löffel voll cremiger Rouille, schmeckbar safranisiert.
Diese Rouille spülte der Kellner mit einer am Tisch angegossenen "Bullinada", also sehr konzentrierter Fischsuppenessenz, um den Rouget herum, so dass sich die Rouille in Wohlgefallen bzw. in Bullinada auflöste.
Auch hier perfekte Garzeitpunkte und ein interessantes Spiel der einzelnen Aromen, aber nicht ganz so fein wie der Saint-Pierre, vielleicht auch, weil ein Häuchlein zu viel Knofel in der Rouille verarbeitet schien.
Deutlich stärker dann wieder die Brust von der Chaillansente, die als nächstes aufgefahren wurde, lackiert mit Veilchenconfit. Ich hatte erst Bedenken, weil ich Florales im Essen normalerweise nur begrenzt für sinnvoll halte. Dieses Veilchen war aber so dezent, dass es das Gericht nicht seifig werden ließ, sondern nur einen feinen Akzent zum eher süßlichen Entenfleisch setzte. Nebenan ein länglicher Keks, auf den der Chef einige grandiose Pfifferlinge und Steinpilze gesetzt hatte. Sie waren so aromatisch, dass sie beim Einfangen der Veilchen bestens behilflich sein konnten. In einem Eierbecher, dessen Fuß wie ein Entenfuß gearbeitet war, gab es noch weitere Pilze, ganz puristisch, ohne alles, aber in perfekter Qualität, Totentrompeten, Waldchampignons und noch einmal Steinpilze und Pfifferlinge, davon kann ich zum Glück nie genug kriegen, so dass die Wiederholung nicht störte.
Das ergänzende Bohnenpüree, vom Maitre d'Hotel am Tisch etwas gewollt kunstvoll auf den Teller geschmiert, hätte es da gar nicht mehr gebraucht.
Schließlich die Taube, mit einer sensationellen Sauce von Johannisbeeren und Kirschen umgeben, in einer knusprigen Pistazienkruste gebraten. Sehr fein, das wäre ein Kandidat für die Tauben-Hall of Fame gewesen, wäre nicht die neben das Filet gepackte Keule ein wenig zu haut-goutig gewesen. Die "schaumige Polenta", die es dazu gab, wieder in großer Geste vom Kellner am Tisch schwungvoll auf den Teller gemalt wie von Baselitz im Endstadium, war tatsächlich wunderbar luftig, sehr fein und bestens gewürzt, toll!
Insgesamt blieb bis hierhin eigentlich nur die etwas sehr ausgeprägte Freude am Anrichten, Auffüllen, Spachteln und Schütten am Tisch zu bemängeln. Was beim folgenden Gang allerdings dringend erforderlich sein sollte, denn es fuhr der Käsewagen auf mich zu. Auf dem - jawoll! nur Käse der Region thronten. Recht so, Ste.-Maure, Camembert und Conté muss ich in den Corbières nicht haben. Trotzdem gewagt. Gut so! Zumal die Auswahl riesig war. Drei gigantische Laguiole-Laibe, ein vierundzwanzigmonatiger Salers, eine tolle Tomme de Brebis, ein sehr feiner Roquefort, viele andere Schaf-, Ziegen- und Kuhkäse. Fein!
Am liebsten wäre ich mit diesem Käsewagen noch ein paar Stunden im Dialog geblieben, aber das wäre unfein, auch wenn gerade die Hartkäse natürlich sportlichen Messereinsatz verlangen. Wieder gab es beim Anrichten meiner unfein zahlreichen Käsestückchen auf dem Teller ein wenig zu viel Tralala mit konfitierten Kirschen und sorgsam gemalten Honigkringeln, aber ich muss zugeben, dass das Ganze am Ende tatsächlich recht nett aussah. Auch das Brot muss an dieser Stelle gewürdigt werden. Es gibt nur zwei Sorten schon wieder gut so! Dunkler und heller, von einem Biobäcker aus einem 30 Kilometer entfernten Dorf. Exzellente Qualität!
Schließlich die Taube, mit einer sensationellen Sauce von Johannisbeeren und Kirschen umgeben, in einer knusprigen Pistazienkruste gebraten. Sehr fein, das wäre ein Kandidat für die Tauben-Hall of Fame gewesen, wäre nicht die neben das Filet gepackte Keule ein wenig zu haut-goutig gewesen.
Die "schaumige Polenta", die es dazu gab, wieder in großer Geste vom Kellner am Tisch schwungvoll auf den Teller gemalt wie von Baselitz im Endstadium, war tatsächlich wunderbar luftig, sehr fein und bestens gewürzt, toll!
Irgendwie fand sich noch Platz für die Desserts. Zum Beispiel die wilde Feige aus den Weinbergen der Corbières mit Gewürzsirup. Der natürlich am Tisch über die Feige gegossen wurde und dabei leider die schöne Kuppel aus anisiertem und geblasenem Zucker zerstörte, die die Feige wie eine altmodische Speisenglocke bedeckt hatte.
Das dazu gereichte Eis war leider ein wenig zu stark mit Orangenblütenessenz parfümiert, insofern nicht ganz die volle Wertung.
Die dafür das Küchlein aus Himbeeren und Schokolade bekam. An sich schon wieder so eine Kombination, die ich nicht so gerne mag - rote Früchte und Schoko.
Doch die ganz unglaubliche Vanillecreme und das leicht meersalzig-karamellige Sablé, auf dem Himbeeren, Schokoblatt, Vanillecreme und Fruchtmark thronten, verbanden die unterschiedlichen Aromen geradezu perfekt.
Im dazu gereichten Himbeersorbet mit Schokolade und nicht wirklich wahrnehmbarem grünen Tee gelang das fast genauso perfekt.
Grandios auch die warmen Schokopralinen mit halbflüssigem Innenleben, die am Anfang der Mignardises gereicht wurden. Ebenso wie die köstlichen Canelles und die dunklen Pralinen mit Karamellfüllung, die Himbeermacarons und die Nougats mit einem Hauch von Corbières-Lavendel. Der Abschluss war insofern, ganz wie der Beginn, eher oberhalb der drei Sterne, riesengroßes Kino!
Insgesamt ein großartiges Diner, nicht einfach nur drei Sterne, sondern zusammen mit Ducasse, Gagnaire, Savoy und einem Marc Haeberlin in der Tagesform meines letzten Besuches in Illhaeusern einer der derzeit fünf besten Köche Frankreichs. Ein sechster wird im Laufe dieser Vierschenkentournee noch hinzukommen, bleiben Sie dran, lieber Leser, gleich nach der Werbung geht es weiter mit dem dritten Etappenbericht.