"Raab in Gefahr" So hieß eine Rubrik in der Sendung des ewigen Berufsjugendlichen aus Köln. So eine Art Jackass light - denn auch wenn sich der Raab natürlich nicht in wirkliche Gefahr begab, so tat er doch Dinge, die zu tun einem der Menschenverstand eigentlich verböte. Im Hofbräuhaus nach der Weinkarte fragen.
Oder im Stadion beim Effzeh Vorschläge machen, wie man den Geißbock am aromatischsten zubereitete. Da kann man auch gleich auf dem Wochenmarkt in Teheran "zehn nackte Friseusen" singen.
Der Igel ist natürlich viel reifer und abgeklärter als der Raab. Aber manchmal... Kurz vor Weihnachten war so ein Moment. Höchste Terrorwarnstufe für Belgien, insbesondere Brüssel. Und der Igel steigt in den Thalys, fährt einfach mal hin, steigt am Nordbahnhof aus. Wenn man den über die Südeingang verlässt, steht man schon mit beiden Beinen, bzw. im Falle des Igels mit allen vier Pfoten in einem seltsamen Viertel mit jeder Menge leicht bekleideter Damen in den Fenstern.
Freundliche Damen, muss man schon sagen, doch, doch. Die winken einem, lächeln einem zu, da liegt eine Herzlichkeit in der Luft, das wird wohl mit dem besonderen Zauber der Vorweihnachtszeit zusammenhängen. Und bei den Temperaturen dieses Dezembers wundert die leichte Bekleidung nicht wirklich. Auch wenn sich konservativere Leute als der Igel vielleicht die Frage nach der Schicklichkeit des einen oder anderen Aufzugs stellten.
Dann sehe ich aber das Unheil in tiefdunkelschwarzen Wolken aufziehen. Zehn junge Männer biegen in die Straße ein. Eher nordafrikanischer Phänotyp, man spricht Arabisch miteinander. Also etwa neunundneuzig-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Muslime handeln müsse. Wer weiß, vielleicht gar aus Molenbeek. Und der Moslem, erst recht der aus Molenbeek, das weiß man, das ist bekannt, ist eher für die vollständige Verhüllung von Frauen als für die hier praktizierte weitgehende Enthüllung. Dementsprechend suchen die jungen Männer auch sofort das Gespräch mit den freundlichen Damen in den Fenstern.
Sicherlich um diese zu einem schicklicheren Aufzug zu überreden. Immerhin haben die jungen Muslime die Höflichkeit, nicht alle auf die gleiche Frau einzustürmen, sie teilen sich die Arbeit, jeder spricht mit einer anderen. So richtig funktioniert die Überzeugungsarbeit aber wohl nicht. Denn die jungen Männer ziehen sich mit den Frauen erst einmal in die Häuser zurück. Ich vermute zu vertiefteren Gesprächen über die Auslegung des Korans. Halb erwarte ich, die jungen Damen im Tschador wieder am Fenster auftauchen zu sehen. Doch nichts dergleichen. Nach etwa zehn Minuten kommen die jungen Männer der Reihe nach wieder auf die Straße zurück.
Auch die Frauen stehen wieder in den Fenstern, keineswegs umfassender bekleidet als zuvor. Und die Männer, nun, ich hätte erwartet, dass sie nun, da alles gute Zureden nicht geholfen hat, zu rabiateren Methoden griffen. Man hört und liest ja so viel über den radikalen Islam. Aber nichts dergleichen. Den meisten steht ein seltsames Lächeln ins Gesicht geschrieben und gemeinsam ziehen sie, mit einem Winken in Richtung der jungen Damen, wieder ab, in Richtung der nächsten Moschee, es ist Zeit für das Abendgebet. Da sag noch mal einer, der Islam sei nicht tolerant!
Wenn so wenig los ist, in Brüssel, dann kann ich auch weiterziehen, nach Brügge. Denn da steht im Vorort Zedelgem das Hertog Jan von Gert de Mangeleer, eines der höchstdekorierten Restaurants des Landes.
Wobei das mit der Dekoration sich auf Sterne, Punkte und ähnliches bezieht, innenarchitektonisch ist die Bude angenehm nüchtern gehalten, selbst im Advent. Schmuckloser Saal, Designeroptik, schwarze Natursteinwände, glattgehobelter Holzboden mit dicken Bohlen. Keine Bilder, keine Kunst an den Wänden, keine Tischdekoration, das grenzt schon an Purismus.
Viel Glas, in die Küche kann man ebenso hineinschauen wie in den Kräutergarten direkt vor der Tür.
Zwei Deko-Elemente kann ich nach längerer Suche doch noch ausmachen - einmal die großen Steinvasen, in denen getrocknete Rhododendronblüten stecken. Und dann zwei große Glasbecken, in denen dicke Kerzen brennen. Etwa 15 Tische verteilen sich großzügig über den Raum. In der Mitte des Saales ist eine "Serviceinsel" eingerichtet, wo Mineralwasser, Gläser, Servietten und Brot aufbewahrt werden und von wo serviert wird.
Bei vollem Haus scheint das eine ziemliche Herausforderung, die Kellner tanzen ausgesprochen hektisch hinter diesem Tresen herum. Das geht ein wenig zu Lasten der Ruhe im Saal, Genussatmosphäre stellt sich nur mühsam ein. Es würde schon reichen, etwas langsamer zu gehen - vielleicht bräuchte es auch einfach nur eine Person mehr im Service? Erst im letzten Drittel des Abends schaltet das Personal dann einen Gang zurück.
Schöne Weinkarte, akzeptable Koeffizienten. Den Grand Cru Moenchberg von Ostertag für 95 Euro, das ist völlig in Ordnung. Die Menüpreise liegen mit stattlichen 195 Euro für sechs Gänge, 255 Euro für acht Gänge und 315 Euro für acht besonders edle Gänge (Hummer, Kaviar) eigentlich schon deutlich oberhalb dessen, was man in Belgien auf dem Land erwarten dürfte. Mit Weinbegleitung liegt das große Menü dann schon bei 475 Euro, das gibt es sonst eigentlich nur noch in Paris. Mag damit zusammenhängen, dass sämtliche Gastroführer den herzoglichen Jan als bestes Haus des Landes sehen.
Na ja, es begann auch wirklich fast sensationell. Zunächst fährt ein Lachs-Gurke-Borretsch-Amuse auf, mit Forellenkaviar, Creme Fraîche und Champagner-Sahne-Sauce. Für ein Amuse schon eine stattliche Portion. Geschmacklich perfekte Harmonie zwischen Lachs und Gurke, durch den Borretsch bestens miteinander verbunden und mit der sauren Sahne und der cremig-weinigen Sauce bestens untermalt.
Besser geht das eigentlich nicht, das bleibt zudem auch noch richtig lang am Gaumen, wobei erst ganz hinten heraus der Forellenkaviar geschmacklich zum Tragen kommt. Großartig!Zweiter Happen: Stopfleber mit winzigen Stückchen von Rote Beete, die wiederum auf ebenso winzigen Stückchen Litschi saßen.
Dazu Rosenblüteneis, das nicht seifig daherkam, sondern die mit leicht rötlichem Staub (getrocknete Rote Beete?) überzogene Leber perfekt untermalte. Dazu wurde eine Praline von Stopfleber mit Passionsfrucht und Cola auf den Tisch gestellt. Gewagt! Cola und Gänseleber - nun ist der Igel wirklich in Gefahr!
Es funktioniert aber. Im Inneren cremige Leber und außen eine knusprige, leicht würzige Kruste, die tatsächlich einen Hauch Cola-Aroma mitbringt. Nicht penetrant, eher sanft, so dass das Spiel mit der Leber aufgeht. So zart die Limonote auch sein mag, im Abgang bleibt sie nachdrücklich, so dass die Leber nie ganz die Oberhand gewinnt.
Die Passionsfrucht müssen die Papillen lange suchen, so richtig findet sie sich im Gesamtkunstwerk nicht wieder. Dafür weht ein interessanter Anishauch hindurch, das gibt noch einmal eine zusätzliche Dimension. Beide Elemente dieses kleinen Vorgerichts finde ich ausgesprochen gelungen. Grandiose Kombination, erneut volle Punktzahl!
Drittes Amuse: Ein warmer leicht mit Kaffee und Vanille aromatisierter Flan, über den eine Julienne vom Mimolette-Käse gehobelt worden war. Eine kleine Hommage an die französischen Nachbarn, denn dieser härteste aller Hartkäse wird vorwiegend in der Region Nord/Pas de Calais hergestellt. Die Kombination mit dem Kaffee funktioniert ganz gut. Mehr aber auch nicht, von einer Offenbarung kann nicht die Rede sein.
Dafür kam als nächstes ein Knüller. Eine Auswahl "aus den 102 Tomatensorten, die wir derzeit in unserem Garten anbauen", verkündet der Maître nicht ohne Stolz. Auf cremigem Ziegenkäse angerichtet, mit leicht vanilliertem Tomatenwasser übergossen, in das wohl auch ein wenig Olivenöl und ein Spitzerchen weißer Balsamico Eingang gefunden haben sollten.
Auch ein paar milde rohe Zwiebelscheiben und einige Kräuter sortieren sich über den Teller. Im Zentrum des ganzen stehen natürlich die Tomaten, eine einmalige Vielfalt, es sind Sorten darunter, die mir bislang noch nie begegnet waren, die eine sieht aus wie eine Kumquat und schmeckt auf ein wenig so, die andere dann wieder fleischig, würzig, erdig.
Im Zusammenspiel ein Feuerwerk der Aromen!
Auch das Tomatenwasser hätte ich glatt als unerreicht angestrichen, hätte Arnaud Lallement diesbezüglich nicht schon Maßstäbe gesetzt. Da wird man Opfer vergangener Fresskapaden, relativiert sogar das Beste noch ein wenig.
Mit der Zeit löst sich der bestens untermalende Käse im Tomatenwasser ein wenig auf, was zusammen mit den Kräutern eine sensationelle Tomatensuppe entstehen lässt. Hier wurde nichts gekocht, nichts gebraten, sautiert oder sonstwie verarbeitet, hier wurde einfach nur angerichtet und dennoch ist ein absolutes Meisterwerk entstanden.
Das Niveau kann man eigentlich nicht halten. Hat man auch nicht gehalten. Als nächstes kam Meerbrasse in Ceviche mit Kräutern und Guacamole aus der Küche. Der Fisch nur leicht angegart, noch halb als Sushi serviert, leider auf einer etwas ziehigen Haut. Superbe Guacamole, die Kräuter und die etwas arg großzügig eingesetzten rohen Zwiebeln erschlugen die Brasse allerdings fast komplett.
Fischmord! Ich verstehe ja, dass es einen scharfen oder säuerlichen Akzent zum Fisch braucht. Aber warum keine Sahnesauce mit Wein, Zitrone und gekochter Zwiebel? Die rohe Zwiebel sprach noch tief in der Nacht mit mir. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß:
Die Champagnersauce zum ersten Amuse sollte die einzige klassische Sauce des Abends bleiben. Ansonsten wurde eher Sud oder Essenz vor irgendwas angegossen. Dinge, die mit den Hauptdarstellern auf dem Teller nichts zu tun hatten und mal besser, mal schlechter mit diesen klarkamen.
Schade, etwas mehr klassische Küche wäre weniger anstrengend gewesen, zumal Mangeleer ja gleich vorweg bewiesen hat, dass er diese Übung bestens beherrscht
Nun wird wieder eine ausgezeichnete Komposition aufgetischt. Spitzpaprika, leicht karamellisiert, mit Makrelentartar und Brotbröseln gefüllt. Diesmal wurde Weltklassegazpacho angegossen. Exzellente Suppe, perfekt abgeschmeckt. Sie baut sofort ein interessantes Spannungsverhältnis zur Paprika auf, die sich wiederum mit der Makrele gegenseitig am Gaumen zum Genussgipfel aufschaukelt. Die gerösteten Brotkrümel setzen von der Textur her noch einen feinen Akzent und schaffen es auch, den geschmacklichen Eheanbahner zwischen Gemüse und Fisch abzugeben. Absolut dreisternewürdiges Gericht!
Als nächstes servierte man Steinpilze auf einer sehr dünnen, in Butter kross gerösteten Toastscheibe, eingehüllt in geräucherten Eisbergsalat.
Leider schon wieder zu viel rohe Zwiebeln an den Pilzen, auch etwas viel Salz auf dem Toast.
Und warum man den verqualmten Salat obenauf setzen musste, möge mir jemand erklären, der das besser versteht als ich, ein Kettenraucher vielleicht.
Da hilft es dann auch nichts, dass die Pilze für sich genommen perfekt mit Salz, Pfeffer, Kräutern und einem Hauch Knoblauch abgeschmeckt waren.
Ein ziemlicher Tiefpunkt im bisher sehr überzeugenden Menü.
Deutlich besser dann die Gänsestopfleber mit Radi. Exzellent abgeschmeckt mit Anissamen. Das eigentlich vorgesehene Angießen von klarer Räucheraalessenz verbiete ich dem Maître, es reiche schon mit dem Rauch, nach dem Salat. Er schaut etwas kariert, akzeptiert aber. Zum Glück, denn die beste Igelin von allen lässt sich die Aalsuppe über die Leber gießen und ich probiere bei ihr - weniger räuchrig als befürchtet, passt auch halbwegs zur Leber, macht diese aber nicht besser, sondern stört eher ihren sehr feinen Trialog mit Radi und Anis. Dieser Dreiklang ist nun wieder ein tolles, innovatives Gourmeterlebnis, für das ich der Küche durchaus dankbar bin.
Räuchrig dann auch wieder das Wagyu mit Champignons. Wie man es schafft, das Fleisch außen schon borderline-schwarz zu braten und innen noch sehr rosa bis rot zu halten? Ich fand es fast angebrannt. Dafür waren die roh aufgetragenen, hauchdünn aufgeschnittenen Pilze sensationell, der ganze Teller duftete danach.
Unter dem Fleisch dann noch ein Paprika-Champignon-Röster, sehr gut, auch wenn sich das Paprika-Thema ein wenig wiederholte. Allerdings finde ich zwei dicke Haare in der "Suppe":
Die Pilze oben auf dem Fleisch sind zu dick mit Paprikapulver bestäubt.
Und grüne Pfefferkörner überwürzen unten den Röster. Beides zusammen macht das Gericht deutlich zu scharf und zu heftig. Maximal ein Stern, schwierig.
Es folgt das erste Dessert - Cranberries in einer Art Waffelkeks, mit floraler weißer Creme und einer stark nach Rosenblättern schmeckenden Sauce von roten Früchten. Recht seifig, wobei, wenn man das alles miteinander probiert, gleicht sich das mit Waffelsüße und Cranberryfruchtigkeit gut aus.
Es sind nur im Verhältnis ein paar Cranberries zu wenig vorhanden, um die Süße komplett wegzudrücken..
Beim Blaubeer-Spekulatius-Törtchen mit Blaubeereis, Vanillecreme und zahllosen Blumen stimmt die Harmonie dann wieder. Alles passt toll zusammen, kommt auf einem Spekulatiuskeks, der salzige Würze hinzufügt, toll!
Ein Desaster dann leider der Dessertwagen. Da stimmt nicht viel. Apfelkuchen in zuviel Blätterteig, mit zu wenig Apfel. Dunkle Schokolade mit Orangen und erstaunlichem Brausepuffreis (endlich Brausekrümel!) - das alles mag ich gar nicht.
Veilchenmakronen, die nicht nach Veilchen und auch sonst nach nix schmecken, matschige Madeleines, kurzum, das Haus benötigt dringend einen neuen Patissier!
Und ob der Käsewagen bei Menüs dieser Preisklasse noch 25 Euro Aufschlag kosten muss? Und ob man die Gäste zum Bezahlen zwanghaft in den Vorraum schicken muss, wo dann erstmal niemand am Tresen ist? Ein paar Kleinigkeiten kann man sicherlich noch verbessern, im angeblich besten Lokal des Landes.
Ansonsten bin ich hin und her gerissen, ob ich hier drei Sterne geben mag oder nicht. Einige großartige Höhepunkte, gerade der sensationelle Auftakt wird lange in Erinnerung bleiben. Einiges aber auch richtig schwierig. Am Ende lande ich eher bei satten zwei als bei knappen drei Sternen und finde die Preise deutlich zu hoch. Das beste Lokal Belgiens bleibt für mich das Karmeliet
in Brügge, gleich nebenan, wo man zudem deutlich günstiger davonkommt.
Den 21. Etappenstopp
habe ich dann zur Abwechslung mal wieder in heimischen Gefilden abgelegt.