WGW - Willis Gourmet Werkstatt
- Vierschänkentournee Etappe 25 -
Aqua
Sven Elverfeld

Hohn und Spott habe ich aus großen Kübeln ausgegossen über Francois Hollande. Nur weil der arme, mit seinem Beruf vollkommen überforderte Mann bei der Erfindung der gefühlt vierhunderttausendsten neuen Sozialleistung seiner Amtszeit den staunenden Journalisten gesagt hatte:


"Das ist nicht teuer, denn das bezahlt ja der Staat." Inzwischen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Weil der Morbus Hollande ansteckend ist und längst auch der Draghi in ähnlichen Kategorien denkt. Der versucht uns mit seiner Europäischen Zentralgang Angebote zu machen, die wir nicht ablehnen können. Die N´Draghieta will Helikoptergeld über uns abwerfen, jeder kriegt einfach ein paar Tausender in die Hand und - plumps - sind wir alle reich. Das Märchen vom Sterntaler, es wird nur glauben, wer tief genug ins Glas geschaut hat und darüber vergisst, dass die Wertschöpfung im Euroraum durch Geldabwurf nicht zwingend steigt, so dass ein Einbruch des Eurokurses und reichlich Inflation die Folge solcher Hubschrauberflüge wären.


Wir haben dann zwar mehr Geld, können uns aber nicht mehr dafür kaufen. Höchstens die Exportchancen steigen ein wenig, wegen der schwächeren Währung. Briefkästenexporte nach Panama sind schon heute ein Schlager. Wie hat schon der Beckenbauer gesagt - wenn jeder lange genug mit dem Hubschrauber über Katar fliegt, ist er irgendwann weit genug abgehoben, um die Armen und die Zwangsarbeiter nicht mehr zu sehen. Oder so. Das weiß man, das ist bekannt.

Auch unser Siggi Flop aus dem Wirtschaftsministerium hat den Knall nicht gehört, der hat ihn selbst. Jetzt will er Prämien für den Ankauf von Elektroautos verteilen. Auch dafür hat der Staat plötzlich jede Menge Geld, wahrscheinlich von Schäuble persönlich irgendwo zufällig unter einem Hubschrauber aufgefangen. Aber der eigentliche Brüller ist ja, dass auch die Autoindustrie selbst eine Prämie zahlen soll. Jetzt bin ich aber gespannter als die Beziehung zwischen dem ZDF und Herrn Erdogan, woher die Autoindustrie das Geld wohl nehmen wird. Ob die an die Boni der Vorstände rangehen? Eine der Privatvillen vom Piech verkaufen? Ihren Aktionären (also auch wieder dem Piech) geringere Dividenden zahlen?


Ehe der geneigte Leser sich vor lauter Lachen zu tiefe Furchen in die Schenkel schlägt, will ich noch eine vierte, sicherlich völlig illusorische Variante ins Spiel bringen: Die Autobauer könnten ja auch einfach einen Preis auswerfen, der 2000 Euro über dem normalerweise geforderten Tarif liegt - und dann mit der rechten Hand großzügig die 2000 Euro wieder herschenken, die sie mit links kassiert haben. Ohne dass die Frau Klatten oder der Herr Winterkorn auch nur einen golden Wasserhahn in ihrem Drittpalast auf Cap Ferrat abmontieren müssten. Mein Autohändler gibt mir beim Neuwagenkauf sowieso immer 4.000 bis 5.000 Euro auf den Listenpreis, den wahrscheinlich längst niemand mehr zahlt. Wie soll in diesem Gefüge denn irgendwer noch feststellen, ob die Autoindustrie in ihrer Preisgestaltung umschichtet und die Gewinnspanne auf E-Autos absenkt? Und dafür die Gewinnspanne auf Benziner erhöht.

Ob die europäische politische Klasse zu lange unter dem Auspuff eines Dieselgolfs gelegen hat? Oder ob hier einfach nur eine Testreihe läuft, bis zu welchem Punkt wir uns veralbern lassen? Der Igel wäre nicht der Igel, wenn er nicht ganz persönlich nach Wolfsburg zur Außenrecherche aufgebrochen wäre. Um mal in die Auspufftöpfe des Aqua zu schauen.

Das wird im Ritz Carlton aufbewahrt, mitten in der modernen "Autostadt", wie dieser Stadtteil allen Ernstes und rührend naiv genannt wird. Automuseum, Verkaufstürme, in denen sich die Volkswagen stapeln wie das Gold in den Geldspeichern von Onkel Dagobert, viel Landschaftsgärtnerei drumherum, mit künstlichen Hügeln, ein paar Brunnen hier und da. Viele nagelneue Gebäude ringsum, nicht sehr gewachsen, eher implantiert, edle aber doch etwas retortige Lieblichkeit.

Das Lokal selbst könnte kaum eleganter sein, erdfarbene Töne, reichlich Holz an den Wänden, graubrauner Teppichboden, große Fensterwand auf den Kanal, indirekte Beleuchtung aus Schlitzen zwischen den Wandpaneelen. Oben in die Decke hinein gebaute Kristallüster. Vornehm aber dezent, das ist das Leitmotiv. Gut so! Nur die Herren Müller, Winterkorn und Piech waren nicht anwesend, die müssen jetzt wahrscheinlich den Gürtel enger schnallen, wegen der Prämie. Oder sie sitzen gerade mal wieder irgendwo ein.

Sehr freundliche Begrüßung, aufmerksamer, herzlich-entspannter Service, so mag ich das, wenn auch die im Laufe des Abends häufiger mal verwendete Formulierung "viel Genuss!" verlustfrei etwas tiefer gelegt werden dürfte. Der Aperochampagner ist in rosé lackiert und von Gosset designed, 24 Euro pro Zylinder, das ist in der Dreisterneliga fast schon ein Schnäppchen geworden. Überhaupt begeistert die Weinkarte.

Endlich mal ein Spitzenlokal, das bei den Koeffizienten nicht schamlos abzockt. Künstlers Stielweg alte Reben aus 2009 für 40 Euro, Kirchspiel 2012 von Keller für 110. Also Endverbraucherpreis ab Wein-Werk großzügig mit zwei multipliziert, damit kann ich sehr gut leben. Entscheidend ist ja aber auf dem Teller. In das Ambiente der etwas sterilen Autostadt hätte wohl am besten Molekularküche gepasst. Sven Elverfeld kocht aber zum Glück noch richtig. Mit Saucen und so altmodischem Zeug.
Vorab erst einmal eine Kalamata-Olive, mit etwas Zucker überzogen, simpel aber unendlich geschmacksintensiv. Großartig! Als nächstes Amuse ein Taco-Keks mit Ceviche vom Wolfsbarsch und Kaktus. Sehr fein!
 aa
Nun kann man aus so einer Ceviche an sich nicht ohne weiteres drei Sterne herausholen, doch war sie stimmig und stachelte der Kaktus den Barsch zur Höchstleistung an, Turboaufladung des Fischgeschmacks, so lasse ich mir das gefallen.
 aa
Noch besser der "Taco" mit Chili con Carne. Superb gewürzt, perfekt angerichtet, wirklich tacoesk in Darbietung wie im Geschmack und dabei doch so fein und irgendwie eleganter als man es bei so einem rustikalen Standard für möglich gehalten hätte.
aa
Weltklasse, vor allem weil da neben den klassisch-kreuzkümmeligen Mexikogewürzen noch ein paar Kräuter durch das Fleisch tanzten, die eine erstaunliche Vielschichtigkeit generierten!

Es folgte ein orientalischer Miniburger mit leicht currysiertem Gewürzlamm, Joghurt, Minze, Dattel und Hummus. Insgesamt nur ein Happen, doch mit unendlich viel Liebe zum Detail hergestellt und absolut phantastisch abgeschmeckt. Genial!


Dann zwei Süppchen: Obst-Verbene-Kaltschale, da spielt das Kraut recht dezent mit der Frucht. Ist eine nette kleine Erfrischung, ohne dass der Igel gleich in die elastischen Knie gehen müsste vor Verzückung.


Mir gefällt das Paprikasüppchen besser, eine gazpachoeske Flüssigkeit, die sehr fruchtig daher kommt und dabei trotzdem aromatisch stark von der eher gemüsigen grünen Paprika geprägt ist, dieser Kontrast wird von einem Schaum von röstiger roter Paprika noch fein kontrapunktiert, der oben aufgesetzt ist. Dazu ein Buchweizenchip, ja, das kann man so machen!


Zum Abschluss der Amuses schließlich noch Hamachi, also rohe Gelbflossenmakrele, die man durch den an der Burg reichlich vorhandenen Wolf gedreht hatte. Mit Guacamole, geräuchertem Maisschaum und viel schwarzer Quinoa abgerundet. Toll! Die Makrele wirkt nicht fischig, sondern fein und intensiv, der Maisschaum nur sanft geräuchert, so dass das auch nicht vorschmeckt, sondern nur einen Tupfer ins Gesamtbild setzt. Fisch, Guacamole und Mais spielen einen Akkord von fast schon kitschiger Harmonie.

Der schwarze Quinoa kommt als Chip, der ganz angenehm schmeckt, die Triole aber zu sehr dominiert und deswegen rausgefischt wird und erst mal auf die Seite wandert. Trennkost, den esse ich anschließend. Allein mundet er ganz passabel.


Nun wird's ernst, es hält mein persönlicher Höhepunkt des Abends Einzug, das Gänselebermüsli. Gänsestopfleber-terrine mit getrocknetem Hüttenkäse, Joghurt, Cerealien, Früchten und Mandeln.


Sowas kann ja nicht schmecken! Wie soll sich die Leber gegen all das durchsetzen?


Na ja, das kann ich erklären. Sie wird nur ganz zart gewürzt und ist natürlich von Premium-Qualität.

Man bettet sie sodann auf einen säuerlichen Rotfruchtextrakt, obenauf liegt eine Kristallzuckerscheibe.


So dass Süße von oben und Säure von unten alles aus der Leber rausholen, was drin ist - and then some... Hüttenkäse und Haferflocken und der Rest vom Müslischützenfest sind so sparsam auf die Leber gehäuft, dass sie den Geschmack nicht wegdrängen, allenfalls anreichern und dazu einen interessanten Texturakzent setzen.


Mehr geht nicht, genial!!! Dazu spendierte der Sommelier ein Glas Molitor-Auslese aus 2003. Kleine Entschuldigung dafür, dass er mir nicht das zum Menü ausgewählte 2009-er GG von Wittmann liefern konnte (ausverkauft) und ich mit dem Kirchspiel von Keller Vorlieb nehmen musste. Der hat Stil, der Mann!


Dann Petersilienwurzel. Laut Betriebsanleitung wurde die mit Kartoffeln serviert, die allerdings auf dem Teller kaum zu finden waren. Und mit Sauerklee, der spitzenmäßig zur Petersilie passte, sowie mit Räucherforellenfumet (Abgaswerte waren ok), Forellenkaviar und gedämpftem Eigelb.


Zur Sicherheit war obenauf noch ein satter Klecks Ossietrakaviar gehäuft. Sahnige Saucentextur, köstliches Spiel von Petersilienwurzel und Klee, Kaviar und Eigelb, sensationell. Auch hier muss man konstatieren: Das geht nicht besser!

Es folgte der einzige Gang des Abends, dem ich die Dreisternewürdigkeit ein wenig abspräche. Das - tout est bon dans le cochon - Schweinekinn. Als solches geschmacklich leicht rustikal, doch perfekt gebraten und intensiv.


Den Räucheraal dazu hätte ich allerdings nicht unbedingt gebraucht, weil der halt doch etwas sehr räuchrig und fett war - und der Igel ist und bleibt ja Nichtraucher, ich werde nicht müde, das zu wiederholen.


Dazu Kimchi, fermentierter Rettich, Gurke und Yuzu. Eine ganze Reihe von Zugeständnissen an aktuelle Küchenmoden und Zeitgeist. Ich finde ja, dass das Fermentieren und dieses japanisch-koreanische Zeug eher überschätzt werden. Dennoch ganz gut, just not my cup of eel.

Anschließend ein Gag, optisch wie organoleptisch. Das Sorbet von Ruinart Roséchampagner. Nur aus Champagner, Eigelb und Butter gerührt - was glänzend funktioniert. Extrem cremig kommt das rüber, fast zuckerfrei und geschmacklich erstaunlich tiefgründig. Serviert im Boden einer abgesägten Champagnerflasche auf einem Stück Rüttelpult. Optisch pfiffig, geschmacklich auch, was will man mehr?!
Als nächstes begrüßte uns der Wattenheimer Riedgockel, der in zwei Akten serviert wurde. Zunächst die ausgelöste, leicht rilletierte Keule mit Olivenschaum und Tomate. Anklang von Confitaromen, tolle Harmonie von Olive, Tomate und Hahn, sehr überzeugend! Nur die Kügelchen obendrauf, die wirkten eher sinnfrei. Die Kugeln in unseren Köpfen...

Im zweiten Akt folgte die Brust mit Kartoffel, Zitronenjus, Petersilienmus, Oregano und Feta.

Auch ganz exzellent, vielleicht mit einem Spürchen zu viel Röstzwiebel auf dem Gockel, das nahm dem faszinierenden Spiel von kräutrigen Tönen, zitroniger Säure und säuerlich-scharfem Käse ein wenig an Spielfläche.

Dafür arbeiteten sich die Texturen von Kartoffel, Käse und Hahn wunderbar aneinander ab, ein klug konstruiertes Gericht, Kompliment! Danach Rohmilchkäse vom (Volks-)Wagen. Gute Auswahl, auch ein paar Raritäten sind darunter. Nur an einem übte ich dem Maitre gegenüber auf dessen Nachfrage hin leichte Kritik, der frische Ziegenkäse schien mir ein wenig untersalzen.

Ausgerechnet der war, so stellte sich heraus, "fait maison". Der Maitre trugs mit Fassung und meinte sportlich - "Gut, dass gerade der Ihnen nicht schmeckt, da können wir es selber ändern". Cool!


Als Dessert avisierte die Karte "Ei(n) Malheur". Was sich dann im wahren Leben so abspielt, dass der Maitre aus beachtlicher Höhe ein Ei auf meinen mit Sellerieeis, Granny Smith-Stückchen und Blätterkrokant garnierten Teller herabdonnern lässt. Bei diesem Eisprung kriegt das Ovoid einen Knacks und lässt nicht etwa Eigelb an die gute Wolfsburger Luft auslaufen, sondern Baiserschaum.


Denn das Ei bestand außen herum aus weiß-brauner Milchschokolade als Schale und innen aus mit Baiserschaum ummanteltem Eierlikör als Eiweiß und Eigelb. Handwerklich top, wunderbar kreativ und geschmacklich noch besser. Beim Sellerieeis, diese Kleinmütigkeit räume ich ein, da war ich sehr skeptisch, ob mir das denn munden könnte. Doch kam es sehr dezent daher und streichelte den Apfel so liebevoll, dass beide zusammen aus dem "Eiweiß" noch mehr Geschmack herauskitzelten.

Weiter ging es mit Kleinigkeiten. Gepickelte Karotten mit Mango und Majari-Schokolade. Letztere ist so eine Art Rolls-Royce unter den Eiskonfekten (wenn man das im Lande des Phaetons so sagen darf).

Und erschlägt Möhre und Mango leider ziemlich vollständig. Die aber miteinander ein prima Teamwork hinlegen, die Mango als Boss, die Karotte als Hilfsarbeiter im Untergeschoss. Also, wieder Trennkost!

Gleich darauf dann "Maibowle", Joghurteis mit ein paar Fitzelchen weißer Schokolade, dazu so eine Art halbgefrorener Waldmeisterlimonade und Himbeere. Facettenreich, intelligent komponiert und nach dem langen Menü sehr erfrischend.

Mehr davon!! Nebendran warten großartige Gariguette-Erdbeeren mit Spaghetti von Kräutereiscreme und karamelisierten Erdbeerscheiben. Sensationell, ein grandioser Abschluss.

Ein paar feine Pralinen folgten noch und der Herr Chefkoch, der mich befragte, ob ich denn auch zufrieden gewesen sei.

Aber hallo, mehr als zufrieden, das war absolut grandios und dürfte nach der
Überfahrt derzeit so ziemlich unangreifbar auf Platz zwei in der deutschen Gourmetlandschaft stehen.

200 Euro für das große Menü sind absolut im Rahmen. Ich verstehe nur nicht, dass der Herr Elverfeld so seltsam das Gesicht verzog, als ich ihn fragte, ob davon denn jetzt die Hälfte der Herr Piech und die anderen Hälfte der Erzbengel Gabriel übernähme.


"Das ist nicht teuer, denn das zahlt doch der Staat", meinte ich, und was tat er, der Sven? Er servierte mich einfach ab...


Also machte ich mich wieder einmal auf den Weg nach Paris - zum 26. Etappenstopp .


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