„Mögen Sie lieber Fisch oder lieber Fleisch“? Fragte der Kellner in Rom den Würdenträger. Mit dem am Tisch zu sitzen ich die Ehre hatte. Der Würdenträger leitet nach einer herausragenden politischen Karriere nun das wichtigste Ministerium seines kleinen asiatischen Landes.
Über Schäubles Rückzug aus dem Kabinett lächelt er nur – diese jungen Leute. Denn der Würdenträger ist ungefähr 85 Jahre alt. So ganz genau weiß man es nicht, damals gab es in seinem Land noch keine Geburtsregister. In Schäubles Alter war er noch Juniorminister. Allerdings hörte er damals noch besser. Heute trägt er nicht nur Würde, sondern auch ein Hörgerät. Das allerdings in den meisten Fällen auf Umluft gestellt ist.
Was dem Tischgespräch mit dem Würdenträger kafkaeske Züge verleiht. Ach, wäre die hohe Zeit des Dadaismus doch nur noch nicht vorbei, den Mitschnitt unserer Konversation hätte ich für viel Geld an Ionesco verkaufen können. Erst einmal bekam nun aber der Kellner sein Fett weg.
„Ja!“ antwortete der Würdenträger entschieden auf die Frage nach dem Hauptgang seiner Wahl. „Signore, prego, Fisch oder Fleisch?“ versuchte der Kellner es erneut. „Ja!“ wiederholte der Würdenträger strahlend und ergänzte „das sagt meine Frau auch immer.“
Der Kellner geht in die Ersatzvornahme, entscheidet mutig für Fleisch und deponiert ein Stück Rinderfilet vor dem Würdenträger. Der, so stellt sich schnell heraus, neben Würde und Hörgerät auch ein Gebiss trägt. Eines mit einem erstaunlichen Eigenleben. Denn die Prothese macht sich unter dem Kauen mehrfach auf den Weg aus dem Mund des Würdenträgers und muss mit geradezu akrobatischer Lippengymnastik ein ums andere Mal eingefangen werden. Das ist alles recht gut zu beobachten, da der Würdenträger ausschließlich mit offenem Mund kaut.
So kann man zudem den Prozess der Nahrungszerkleinerung in allen Feinheiten beobachten. Gut, dass die Vorsehung für diesen Lunch keine Suppe vorgesehen hatte, die wäre wohl durch den offenen Mund entlang der Krawatte des Würdenträgers auf das Parkett des Restaurants gepladdert.
Während ich diesem Gedanken noch nachhing, kämpfte das Würdenträgergebiss mit einer Sehne. Der es nicht wirklich Herr wurde. Sie musste daher in mühevoller Arbeit vom Rest des Filetbissens isoliert und auf die Zungenspitze manövriert werden und wurde sodann von dort mit einem gekonnten „pffllpp“ elegant auf den Boden neben dem Mittagstisch eruktiert.
Ich versuchte die Runde ein wenig abzulenken, fragte den Würdenträger, ob das Wetter in seinem Land denn im Februar auch so regnerisch sei, wie in Europa. „Niemals, lieber Igel“, entgegnete er, „ich hatte noch nie einen Diesel!“. Kurz darauf nickte er ein Viertelstündchen weg, erwachte aber rechtzeitig zum Dessert wieder. Zabaione. Sehr flüssig. Ich entschuldigte mich vorsichtshalber, ich müsse dringend telefonieren. „Du kommst aber doch zu uns in die Botschaft zum Abendessen?“ fragte der Würdenträger. „Thomas Mann, nicht Heinrich Mann, das war der Bruder!“ entgegnete ich entschlossen und buchte für den Abend lieber einen Tisch im La Pergola.
Kluger Entschluss, denn die Aussicht ist wesentlich besser. Statt der Mundhöhle des Würdenträgers sehe ich die abendlich erleuchtete Kuppel des Petersdoms. Denn La Pergola findet sich oben auf einem der sieben Hügel und bietet einen tollen Ausblick auf die gesamte Innenstadt der ewigen Stadt. Ist das dann eine ewige Innenstadt? Ach, lassen wir das. Sprechen wir lieber von der Einrichtung.
Am Eingang ein Hauch gehobenes Bistro mit halbhohen gläsernen Raumtrennern, dann wird es gediegener, Ölgemälde, blaugoldene Teppiche, viel rotbraunes Holz, zahlreiche Vitrinen mit Vasen und manchmal etwas schwülstigen Kunsthandwerk.
Zur Stadt hin einfach nur eine Fensterwand, der Blick ist unbezahlbar. Das gilt leider auch für einige der Weine. Anders als in Italien üblich, sind die Aufschläge fast schon Anschläge. Auf des Igels Geldbörse. In Deutschland und Frankreich wäre das in der Dreisterneliga ziemlich normal, die Italiener hingegen sind anderes gewöhnt, was sich in den Internetkommentaren der Gäste zum Teil fröhlich niederschlägt.
So rücke ich also von meinem Plan ab, einen großen Barolo zu trinken und arbeite mich an einem 2007er Smaragdriesling Loibner Berg von FX Pichler ab. Passt eh besser zu den vielen Fischgängen. Voll auf dem Punkt und erstaunlich günstig.
Vorher gibt es natürlich ein Gläschen Champagner. Zeitgleich mit dem Schaumwein landet der Brotsommelier am Tisch an. Er führt einen mittelgroßen Wagen mit sich, auf dem sich etwa zehn Brotsorten tummeln – welche ich denn gerne hätte?
Ich entscheide mich für eine Focaccia mit Tomatenwasser. Und die gute alte Baguette, falls mal Saucen aufzutunken sind. Bei der Focaccia muss ich aufpassen, dass ich davon nicht permanent nachordere, das Ding ist grandios tomatig, obwohl keine Gemüsestückchen drin stecken, sondern lediglich der Teig mit klarem Tomatensaft angerührt wurde.
Kaum ist der Brotsommelier entschwunden, folgt ihm der Salzsommelier. Aus fünf Sorten Salz kann ich wählen. Ein wenig übertrieben, die Salzhuberei habe ich noch nie so ganz verstanden, aber was solls, ich spiele mit und entscheide mich für irgendein Bergsalz. Natürlich gibt es dann auch noch einen Wassersommelier, der mir eine Karte mit mindestens 40 Sorten Mineralwasser reicht.
Nur beim Olivenöl gibt es keine Auswahl, genau eines ist vorhanden und wird mir auf ein Porzellantellerchen gegossen, auf dass ich es mit der Baguette auftunken möge. Wunderbar fruchtig, keinerlei Schärfe, großes Kino. Eigentlich könnte ich mich mit Focaccia, Baguette und Olivenöl auch ganz gut über den Abend retten.
Die italienischen Momente im Leben? Nicht ganz. Am Nachbartisch sitzt Düren.
Na ja, vielleicht nicht ganz Düren, das Kaff soll laut Willipedia 90.000 Einwohner haben. Es klingt aber wie ganz Düren. Weil wieder einer mit am Tisch hockt, der altersmäßig schon die Acht vors Komma schreibt und sein Hörgerät auf Energiesparmodus geschaltet hat. Also spricht er lauter, denn der Rheinländer hört sich gerne reden. Den Mund bringt er gar nicht mehr zu, auch das typisch für den Rheinländer, ist er einmal im Redefluss, werden keine Gefangenen mehr gemacht. Ich weiß jetzt viel über Düren, die Familiengeschichte des Düreners, seine Prostata und anderes. Zum Glück müssen die alten Leute früh ins Bett, eine halbe Stunde nach meiner Ankunft zog er schon von dannen.
Da schlugen gerade die Amuses bei mir auf, ein salziges Tomatenbaiser mit Basilikumtupfen. Fein, auch wenn die Salzigkeit mit dem Eischnee nicht hundertprozentig Hand in Hand geht.
Dafür schlägt mich der kissenförmige Cracker mit Kartoffel-Trüffel-Füllung zielstrebig vom Hocker. Was für eine Intensität! Formidabel! Geht nicht besser! Auch das Wurzelgemüse auf Rucola mit Spargelpuder funktioniert wunderbar. Schöner Auftakt!
Weiter geht es mit einer Makrele. Das ist fast noch Sushi, die ist nur ganz sanft angegart. Beste Qualität, natürlich, das macht Freude. Dazu gibt es Graupen, die mir zu geschmacksneutral gewesen wären, wenn man sie nicht mit röstigen Krümeln aufgemotzt hätte.
Sowie Zitronenschaum und frittierte Alge. Schöne Balance, weil die Zitrone dezent bleibt, dem Fisch und den Rösttönen Raum lässt. Selbst die Alge schmeckt kurz ein wenig vor, recht würzig, gar nicht dumm. In der Textur setzen die Krümel einen knusprigen Kontrapunkt zur schaumigen Zitrone und dem buttrigen Fisch, sehr gelungen. Ganz hohe Schule!
Auch dem Tunfisch hat man den Grill nur von weitem gezeigt. Beste Qualität, viel Aroma, perfekt. Zur Seite stehen ihm zweierlei Blumenkohlarten, etwas verkrümeltes Pumpernickel, Radieschen, Kräuter, eine kräutrige grüne Creme und ein ordentlicher Schlag Kaviar.
Optisch sensationell, tolle Balance, großartiges Spiel der Texturen. Die ganz leichte Schärfe der Radieschen hebt den Tunfisch noch hervor. Das gelingt auch den Kräutern, die dezent genug bleiben, um dem Fisch eine noch breitere Bühne zu bauen, ohne ihn in den Hintergrund zu schieben.
Dass der Blumenkohl ebenfalls nur gerade so schmeckbar war, verwundert weniger, ist der geblümte Kohl doch selten ein Intensitätswunder. Dafür gibt ihm der Kaviar den Takt vor, das passt wieder perfekt und ergänzt zusammen den Tunfisch bestens. Da ist kaum Luft nach oben, absolute Weltklasse.
Nach dieser Granate bleiben wir im kriegerischen Duktus und erhöhen die Einschlagzahl, denn nun folgt der Kaisergranat mit Granatapfel. Reichlich Radicchio gesellt sich auch noch hinzu.
Kaisergranat ist gerade granatenmäßig in, kaum ein Sternekoch lässt ihn aus, deswegen muss man sich schon anstrengen, Neuigkeitswert auf den Teller zu bringen. Heinz Beck versucht es mit einem Überraschungseffekt – der Granat ist kalt, dafür kommt der Granatapfel frisch aus dem Ofen, die Umkehrung des Erwarteten.
Mich überzeugt das nur bedingt. An sich ist die Komposition sehr stimmig, die säuerliche Frucht als Bett für das Fischige, der Salat mit einer interessanten Bitternote dazu, das müsste passen.
Im La Pergola gelten sie als „Signature Dish“ und das mit Recht. Der Maitre strahlt beim Servieren siegesgewiss und erklärt, es handele sich im Prinzip um das Carbonara-Rezept, nur sei die Sauce nicht über die Fagotelli gegeben, sondern befinde sich darin.
Das dürfte die Untertreibung des Jahres sein, denn Carbonara, das ist laut, breit und ein wenig fett, da marschieren mit Speck, Eier und Käse ausschließlich Dinge in die Sauce, die hinterher die Kleider enger machen. Cremig-zähflüssig ruht das dann im besten Fall auf den Teigwaren. Ganz anders in der Pergola. Leicht, dünnflüssig, elegant und sagenhaft vielschichtig kommt die Sauce aus den Fagotelli gespritzt.
Sie schlägt wie ein Feuerwerk am Himmelszelt des Gaumens auf. Etwas Pfeffer wird am Tisch gemörsert und ambulant drüber gestreut, vielleicht ein exotischer, besonderer, denn so ein Spürchen asiatische Würze kratzt da im Abgang noch an den Papillen. Der Igel hüllt sich ins Büßergewand und macht sich auf den Weg gen Canossa, denn über Jahre habe ich verkündet, dass es eigentlich nicht möglich ist,
Pasta auf Dreisterneniveau zu heben. Ironie des Schicksals, dass es von allen Sterneköchen in Italien ausgerechnet der Deutsche Heinz Beck ist, der als erster den Gegenbeweis führt. Eine Götterspeise, um es mal in der Sternefresserterminologie zu sagen! Das versöhnt mit dem Wintergarten!
Als nächstes folgt die Rotbarbe. Bevor sie aufgefahren wird, bittet der Maitre mich, die Pfoten auszustrecken. Da wird mit einem Zerstäuber etwas Sellerieparfüm drübergesprüht. So soll ich einen Sellerieakzent zur Barbe in die Nase bekommen, der die Zutaten auf dem Teller ergänzen wird.
Leute, das ist kaum weniger sinnfrei als die Konversation mit dem Würdenträger. Wenn Sellerie mit in die Aromenpalette soll, na dann packt sie halt neben den Fisch auf den Teller!
Das Parfüm ist schon deswegen ärgerlich, weil es nicht einmal durch ausführliches Händewaschen rückstandsfrei zu entfernen war und ich noch vier Teller später Selleriearomen als Begleiter meines Kokosdesserts atmen durfte. Da hat definitiv einer zu viele El Bulli Videos geschaut und sich auf den Zug des Manierismus gesetzt. Nun ja, der Fisch ist wenigstens gut. Allerdings fehlt Säure.
Daran ändern auch die Sellerietupfer auf dem Teller und selbst der Rhabarber nichts, schon gar nicht die Olivensplitter, die in einer Nebenrolle mitspielen. Nur die kleine Tomate kämpft wacker gegen die erdig-würzigen Töne von Sellerie und Oliven an. Schafft sie einen Bissen lang ganz gut, dann ist sie vertilgt und bleibt eine Barbe, die nach Frucht und Säure schreit. Gut, aber nicht sehr gut.
Ähnlich geht es mir mit der Seezunge. Sie wird mit Spinat und Trüffeln serviert, an sich eine feine Kombination. Doch hat die Küche relativ großzügig in die Pfefferschublade gegriffen, außerdem reichlich Paprika beigemischt und noch etwas Scharfes, vielleicht Fischsauce? Insgesamt wird die Sache damit deutlich zu scharf. Ich esse ja ganz gerne scharf, so richtig problematisch finde ich das dementsprechend nicht. Nur die Trüffeln sind halt dann verschwendet, denn die kommen gegen Pfeffer und Co. nicht an, gehen komplett unter. Schade! Wiederum nur gut, auch hier würde ich keine drei Sterne vergeben.
Dafür entlockt mir der Hirsch in Pistazienkruste mit Dörrobst, Kaki, Rotkohl und Polenta einen Begeisterungsjuchzer. Fantastisches Fleisch, wunderbar zart, mit ausgeprägtem Eigengeschmack aber frei von jedem Haut Gout. Perfekt untermalt von Kaki und rotem Kohl, selbst die meist eher fade Polenta macht hier richtig Freude, cremig, ein superber Saucenstaubsauger, wunderbar. Geht nicht besser, Hut ab!
Viel Freude machen mir auch die Käse. Ausschließlich Italiener, das gefällt mir – ich brauche in Rom ja nicht zwangsläufig auch noch Bernard Antony. Alle perfekt auf dem Punkt – und als ich nur vier auswählen will, meint der Maitre, den Taleggio sollte ich aber in jedem Fall auch noch probieren. Und den Parmesan mit etwas Balsamico gebe es sowieso immer dazu, den müsse ich auch versuchen. Mache ich gerne, jede einzelne Sorte ist ein Gedicht.
Die Variationen von der Kokosnuss hinterlassen mich dann wieder eher mit gemischter Euphorie. Der Brandteigboden ganz unten verdient ein dickes Ausrufezeichen. Auch die Limettencreme mit etwas Banane ist zumindest gut. Die Kokosaromen finden aber nicht so richtig die Bindung zum Spiel.
Die Kokosnuss ist nun einmal eher breit im Aroma. In Cocktails löst man das Problem über Alkohol und viel Säure, zum Beispiel von der Zitrone. Hier kommt die Zitrone nicht ganz mit der Kokosnuss mit, zumal die Banane ja auch eher in die breite Richtung geht. Mit anderen Worten – ja, das war schon gut, aber es gebrach ein wenig an der Eleganz, die ich von der Spitzenküche erwarten würde.
Besser gefiel mir die sensationelle Nougatcreme, die zu Cannoli serviert wurde, die wiederum mit hervorragender Pinienkernbutter gefüllt ware. Ein köstliches Dessert rund um nussige Aromen. Hier fehlte mir eigentlich keine Säure, da hätte es die Granatapfelsphäre mit Mandelmilch gar nicht gebraucht. Der Granatapfel ist zu intensiv für die Nusstöne und die Mandelmilch geht eher unter. Also sorgfältig separieren und getrennt genießen!
Am Ende dieses sehr umfangreichen Menüs zieht die Küche noch alle Mignardises-Register. Zunächst kommen ein paar Mutzen, immerhin ist Karnevalsdienstag. Dann ein Rosenmacaron, nicht schlecht! Und eine göttliche Tiramisucreme. Schließlich eine Art Weihnachtskeks mit Mangoglasur, superb, und eine feine Geleefrucht.
Als Clou zum Finale dann noch der „geheimnisvolle Turm“. Der in insgesamt 12 Schubladen zwölferlei unterschiedliche Schokoladenpralinen beinhaltet. Mehrere von jeder Sorte, man will den Igel am Ende des Abends offenbar hinausrollen. Köstlich!
Fazit: Eine kleine Achterbahnfahrt war das schon. Absolut Geniales wechselte sich mit deutlich weniger Eindrucksvollem ab. In Frankreich müsste man da schon Glück haben, wenn man drei Michelinsterne bekommt. Der Igel geht trotzdem zufrieden heim, denn die Glanzlichter des Abends bleiben dauerhaft in Erinnerung. Und die ganz große Oper in zehn Gängen kostet abends auch nur etwa zwei Drittel von dem, was man in Paris auf den Tisch legen müsste.
Auf der
41. Etappe meiner Tournee besuchte ich einmal wieder einen meiner absoluten Favoritensternetempel.